Wer vor Gericht geht, um dort prüfen zu lassen, ob die Einschränkung seiner Grundrechte verhältnismäßig ist, ist nicht egoistisch! Diesen Satz will ich jetzt schon längere Zeit loswerden, schon deswegen, weil er eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Es ist nicht Egoistisch Ausgangsbeschränkungen überprüfen zu lassen, es ist wichtig für eine Demokratie, dass dies möglich ist und dass jederzeit die Entscheidungen von Politikern überprüft werden können. Nur so können wir verhindern, dass solch eine Krise dazu genutzt wird, die Demokratie und die Freiheitsrechte zu beschränken.

Aber Demokratie scheint eh nur etwas für fröhliche und glückliche Zeiten zu sein, denn wenn ich mich so an Diskussionen und Tweets der letzten Wochen erinnere, scheint in solchen Krisen, wie wir sie jetzt haben, die Flucht zu Autoritäten die bequemere Option zu sein. Wenn Politiker nicht mehr als Autorität taugen, dann werden halt Wissenschaftler zu solchen Autoritäten erklärt. Unterschiedliche Meinungen sind dann nicht mehr zulässig, unterschiedliche Einschätzungen einfach nur problematisch und alles, was nicht ins Weltbild der eigenen Autorität passt, ist gleich eine Verschwörungstheorie und kann mit einer schönen Grafik, die schnell am eigenen Computer erstellt wird, widerlegt werden. Eigene Auswege aufzeigen, sich Gedanken machen, sich mit den Schattenseiten der jetzigen Einschränkungen auseinandersetzen, ist nicht notwendig, die Wissenschaft wird schon die Lösung präsentieren.

Eine demokratische Gesellschaft braucht die Wissenschaft, um Entscheidungen treffen zu können. Sie braucht aber keine Autoritäten, sondern sie braucht Wissen, sie braucht Einschätzungen und Entscheidungshilfen, um dann die richtigen und ausgewogenen Maßnahmen zu treffen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass solche Entscheidungsprozesse sogar zu einer sehr viel größeren Akzeptanz solcher Maßnahmen in der Bevölkerung führen und dass diese dann auch länger durchhaltbar sind, eben weil jeder einzelne Mensch in eine solche Entscheidungsfindung eingebunden ist und eben alle Aspekte betrachtet werden.

Wenn ich mir die sozialen Medien so ansehe, habe ich das Gefühl, dass viele sich überhaupt nicht die Mühe machen, sich mit anderen Aspekten zu beschäftigen. Da wird die Ausweitung der Kontaktsperren gefordert, ohne zu beachten, dass diese auch für viele Menschen mit negativen Folgen verbunden sind. Es wird vergessen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, dass diese sozialen Kontakte für viele sehr wichtig sind, um psychisch Gesund zu bleiben. Wer eine gute soziale Beziehung führt, wer die physische Isolation mit einem anderen Menschen oder der eigenen Familie durchstehen kann, mag dies nicht verstehen, aber er muss zumindest versuchen sich einzufühlen, muss versuchen die vielen Schattierungen und die vielen Farben zu sehen und das Schwarz-Weiß-Denken ablegen. In dieser Krise geht es eben nicht nur darum, dass wir die Leben der Menschen in der Risikogruppe retten, sondern es geht auch darum das Leben der Menschen zu retten, die durch diese Krise und die unbekannte Isolation in Depressionen verfallen, oder die schon vorher in einer waren und diese nur durch physische Kontakte durchgestanden haben.

Es gibt Menschen, die sind mit den besten Absichten in diese Phase gegangen. Menschen, die sich an die Regeln halten wollen, die aber an eine psychische Grenze kommen, die einfach wieder physischen Kontakt zu anderen Menschen brauchen, weil sie sonst durchdrehen. Die sind nicht egoistisch, die haben es einfach nicht gelernt, solange Distanz zu halten. Oder ist es egoistisch nicht Lesen zu können, weil es nie eine Möglichkeit gab, Lesen zu lernen?

Die Krise zeigt mir, dass wir als Gesellschaft noch viele Dinge lernen müssen. Wir müssen autoritäre Denkweisen überwinden, müssen demokratische Denkweisen etablieren, müssen Institutionen demokratisieren und wir müssen noch etwas machen: Wir müssen die Überlebensgrundlage der Menschen unabhängig von der Wirtschaft machen. Die Menschen müssen selbst entscheiden können, ob die Arbeit, die sie machen, in einer solchen Krise notwendig ist oder nicht. Sie müssen in der Lage sein, dieser Entscheidung dann auch Taten folgen zu lassen, indem sie die Arbeit einstellen, ohne in Existenznot zu geraten. Dies wird nur gelingen, wenn das Einkommen unabhängig von der Erwerbstätigkeit ist. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird eine Grundvoraussetzung sein, um unsere immer noch autoritäre Gesellschaft in eine demokratische Gesellschaft zu verwandeln.

Ein weiteres Beispiel sind die Schulen. In einer demokratischen Gesellschaft sollten auch Schulen Orte der Demokratie sein. Schüler*Innen brauchen Mitspracherechte, sie müssen Mitentscheiden dürfen, wie es in einer solchen Krise weitergehen kann. Wie soll eine Gesellschaft zu einer demokratischen Gesellschaft werden, wenn die Kinder und Jugendlichen auf Autoritäten getrimmt werden? Es kann so nicht gelingen, weshalb hier ein grundlegender Hebel zu sehen ist, um unsere Gesellschaft zu transformieren.

Ein Gedanke zu „Egoistisch oder demokratisch?

  1. „Die Menschen müssen selbst entscheiden können, ob die Arbeit, die sie machen, in einer solchen Krise notwendig ist oder nicht.“ – das ist eine gefährliche Denkweise und muss erst ausgiebig und lange erforscht werden… Schließlich birgt so etwas genug Potenzial, um wirklich ernsthafte Probleme hervorzurufen. Gerade das zeigt auch auf, dass es nicht ausreicht, Grundeinkommen in kleinen Tests unter geschlossenen Bedingungen (wie in Finnland) durchzuführen. Das wird noch ein langer Weg.

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