In Europa ist Krieg. Damit schreibe ich nichts Neues und wahrscheinlich wurde es in den letzten Tagen schon so verdammt oft aufgeschrieben. Krieg in der Ukraine, bei dem wir eigentlich nur zuschauen können, weil ein Eingreifen dazu führen könnte, dass die Welt zu einem Atomgrab wird, weil Russland, die USA und all die anderen Atommächte ihre Atombomben einsetzen. Dieses Entsetzen und diese Machtlosigkeit, die sich daraus ergibt, weil Aggressoren einfach agieren können und die Welt zuschauen muss, wenn sie eine Zukunft haben möchte. Dieses Wissen, dass das Leid, was da gerade über Millionen von Menschen gebracht wird, nur durch eine Bevölkerung gestoppt werden kann, die entweder an das glauben, was ihr Präsident ihnen sagt oder die schon seit Jahrzehnten mit Repressionen kämpfen, die schon seit Jahrzehnten Angst haben müssen um ihre Freiheit und um ihr Leben.
Wir können eigentlich nur noch abwarten, können nicht eingreifen, können nicht verhindern, was in der Ukraine passieren wird. Zumindest können wir das jetzt nicht mehr, vielleicht gab es mal ein Zeitfenster, in welchem wir Russland hätten einbinden können, in welchem eine freundschaftliche Beziehung hätte aufgebaut werden können. Eine Beziehung ohne Waffen, ohne Drohung, ohne die Aufteilung in Blöcke von Gut und Böse. Darüber müssen wir uns Gedanken machen, weil wir nur so aus Fehler lernen können und weil wir nur so die Chance haben, das nächste Zeitfenster zu nutzen, wenn es sich denn noch einmal ergeben sollte.
Das ändert natürlich nichts daran, dass die Aggressionen, dass der Angriffskrieg jetzt von Russland ausgeht! Nein, es ist nicht nur Putin, auch wenn es einige auf ihn beschränken möchten. Es ist der gesamte Staatsapparat, der da mitmacht, die Armee, die Polizei, die Politiker und natürlich auch ein Teil der Bevölkerung, die der Propaganda glauben, die glauben, dass Russland aggressiv und hart auftreten muss, um Respekt aus dem Ausland zu bekommen.
Dennoch glaube ich daran, dass wir im Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung die Weichen in eine andere Richtung hätten stellen können. Nein, wir hätten sie in eine andere Richtung stellen müssen, haben es aber nicht getan, sondern haben ziemlich schnell wieder damit angefangen, in Blöcken zu denken, die Welt weiterhin in Gut und Böse einzuteilen. Wobei wir wahrscheinlich nicht wieder damit angefangen haben, wir haben wahrscheinlich nie damit aufgehört! Damit haben wir unnötig Türen verschlossen, haben Richtungen vorgegeben und heute stehen wir wieder vor einem Abgrund, vor denselben Abgrund, vor dem wir schon einmal standen, sind also praktisch im Kreis gelaufen.
Ich meine, wir müssen da ja nicht einmal wirklich nach Russland schauen, wir können ja auch bei uns bleiben. Die Rechten und Rechtsextremen werden auch in Deutschland wieder mutiger, werden wieder Teil der gesellschaftlichen Mitte und wenn sie es irgendwann wieder schaffen, die Macht durch demokratische Wahlen zu übernehmen, dann können auch diese Kräfte den Staat und seine Institutionen wieder nutzen, um die Welt und die eigenen Bürger*innen zu terrorisieren. Wir sollten das im Blick behalten, sollten uns bewusst sein, dass auch unsere Demokratie nicht naturgegeben ist und wir unsere demokratischen Strukturen eigentlich in den letzten Jahrzehnten hätten ausbauen und stärken müssen, damit die demokratischen Entscheidungen von immer mehr Menschen hätten getroffen werden können. Dadurch hätte sich die Macht verteilt, würde nicht mehr auf wenige Menschen konzentriert sein – oder auf einen Menschen, wie jetzt in Russland – sondern sie wäre auf alle Menschen verteilt.
Mir gehen diese Gedanken durch den Kopf, weil wir das Abdriften ja auch in der EU beobachten können. In Polen zum Beispiel oder in Ungarn. Auch die Türkei driftet immer mehr ab, weil repräsentative Demokratie nur solange funktioniert, solange alle Teilnehmer nach demokratischen Spielregeln spielen und das auch, nachdem sie die demokratische Wahl gewonnen haben.
Ich habe darüber schon vorher nachgedacht, habe darüber schon vorher hier geschrieben, aber vielleicht zeigt uns dieser Abgrund, vor dem wir derzeit stehen, doch noch einmal deutlich, dass wir unsere Demokratie weiterentwickeln sollten, wir auch das Blockdenken überwinden müssen, wir die Macht von wenigen auf allen Schultern verteilen sollten.
Das hilft jetzt natürlich den Menschen in der Ukraine nicht. Menschen, die ihre Zeit jetzt in U-Bahn-Schächten oder Bunkern verbringen müssen, weil irgendwo anders ein Mensch seine Machtphantasien, seine Aggressionen auslebt und mit Bomben um sich wirft. Da hilft die Vergangenheit wenig, wenn gerade die Zukunft in Gefahr ist. Aber das geht halt mit Texten nicht, es geht auch mit Demos nicht. Derzeit können wir nur hoffen, dass wir nicht in den Abgrund fallen, vor dem wir stehen und können nur hoffen, dass in der Ukraine nicht zu viel Blut vergossen wird, dass die Menschen dort nicht zu viel Leid ertragen müssen. Müssen hoffen, dass sich noch einmal die Chance ergibt, eine Gesellschaft zu entwickeln, in der alle Menschen weltweit in Frieden und Freiheit leben können. Bis dahin können wir nur solidarisch mit all den Menschen sein, die das derzeit noch nicht können.