„Angenommen, ihr würdet in einer Gesellschaft leben, wo eure Grundbedürfnisse gesichert und nicht von Lohnarbeit abhängig wären: Was würdet ihr machen?“, fragte Daniel Düsentrieb vor kurzem im Fediverse.
Meine spontane Antwort war, dass diese Frage sehr schwierig zu beantworten ist, weil das Leben in ganz anderen Kategorien denkbar wäre und das ich darüber doch noch einmal nachdenken müsste. Das will ich hier nun tun und dazu auch etwas weiter ausholen.
Es fällt mir tatsächlich schwer, mich in eine solche Gesellschaft hineinzudenken. Sie wäre so komplett anders, als die, die wir heute kennen, also zumindest in meinen Vorstellungen. Sie könnte aber auch komplett anders sein, als das, was ich mir vorstelle!
Zuallererst gehe ich davon aus, dass es auch in einer solchen Gesellschaft noch Arbeit geben würde, die durch Menschen verrichtet werden müsste, um die Grundbedürfnisse aller Menschen zu erfüllen. Wahrscheinlich sind aber all die Jobs verschwunden, die keinen größeren Mehrwert geliefert haben oder die Automatisiert werden konnten. Die vielen Jobs also, die derzeit wie eine Beschäftigungstherapie wirken und die den Menschen, die diese Jobs erledigen, auch keinen wirklichen Mehrwert vermitteln. Insgesamt gäbe es also wohl sehr viel weniger Arbeit, in einer solchen Gesellschaft und diese könnte wahrscheinlich auch nicht sinnvoll auf alle Menschen verteilt werden. Menschen könnten sich also nicht mehr über ihre Arbeit definieren, so wie es in unserer derzeitigen Gesellschaft gemacht wird. Damit würde also schon einmal die große Kategorie „Arbeit“ wegfallen, über die wir uns in unserer derzeitigen Gesellschaft ziemlich definieren und schon wird es schwierig zu sagen, was ich tun würde, wenn ich in einer solchen Gesellschaft lebe.
In einer solchen Gesellschaft gäbe es somit wohl auch sehr viel mehr freie Zeit, über die die Menschen verfügen könnten und die durch andere Dinge ausgefüllt werden müssten. In der Gesellschaft, die ich mir vorstelle, würde diese Zeit für politische Dinge genutzt. Wir hätten also eine demokratische Gesellschaft, in der alle Menschen an politischen Prozessen teilnehmen. Es wird keiner dazu gezwungen, aber die Sozialisierung würde es zu einer Selbstverständlichkeit machen. In einer solchen Gesellschaft gäbe es keine repräsentativen Parlamente mehr, denn jeder Mensch hätte genügend Zeit, sich mit demokratischen Entscheidungsfindungen zu beschäftigen und wäre in diese integriert. Und ja, die Annahme, dass die Grundbedürfnisse gesichert sind, wäre auch in einer anderen Gesellschaftsform möglich, aber ich bin ja ein Fan von der Demokratie, deswegen sind meine Vorstellungen immer von demokratischen Gesellschaften geprägt.
Reichtum und Armut wären in einer solchen Gesellschaft dann halt auch keine Kategorien mehr, denn die Grundbedürfnisse wären ja alle gedeckt. Die Menschen könnten sich also auf Soziale-, Geltungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse konzentrieren, wodurch auch hier eine komplett andere Sozialisierung der Menschen gegeben wäre. Bestimmte Zwänge und Vorurteile würden verschwinden, Solidarität wäre kein frommer Wunsch mehr, sondern Realität, wodurch wohl auch kriegerische Konflikte verschwinden würden. Sehr romantisch, oder? Und natürlich auch komplett anders denkbar, wenn die Annahme von oben nämlich nur für einen bestimmten Teil der Menschheit gelten würde und der andere Teil der Menschheit dafür noch schlimmer ausgebeutet werden müsste, als es heute der Fall ist.
Puh, wie ihr seht, kann ich mich nicht mal darauf festlegen, wie eine solche Gesellschaft aussehen würde, wie soll ich da nur sagen, was ich in einer solchen Gesellschaft machen würde? Aber egal, weiter im Text.
Wissenschaft wäre dann nämlich bestrebt, das Leben aller Menschen zu verbessern und nicht mehr darauf bedacht, Dinge zu erforschen, mit denen später möglichst große Profite für möglichst wenige Menschen erwirtschaftet werden. Deswegen wäre es auch wahrscheinlich, dass in einer solchen Gesellschaft dann auch seltene Krankheiten besiegt wurden, die in unserer kapitalistischen Welt zwar auch bekannt sind, die aber aufgrund ihrer Seltenheit eher weniger Beachtung in den Forschungsbudgets finden. In einer solchen Gesellschaft wären also auch die Kategorien „Wirtschaftlichkeit“ und „Profitmaximierung“ verschwunden. Mir würde zumindest kein Grund einfallen, warum diese noch existieren sollten, wenn die Grundbedürfnisse auch ohne Lohnarbeit gesichert wären.
Entscheidend wäre jetzt noch die Frage, welche Sorgen und Probleme es in einer solchen Gesellschaft gäbe. Wo wären die Reibungspunkte, die Spaltlinien einer solchen Gesellschaft. Und über welche Dinge würden wir uns als Menschen definieren, in welchen Dingen würden wir Sinn suchen? Das gehört zu der Frage, was ich in einer solchen Gesellschaft machen würde, dazu.
Ja, ich weiß, mit all dem – was ich bisher geschrieben habe – bin ich noch nicht auf die eigentliche Frage eingegangen, aber die Antwort darauf ergibt sich ja auch erst dann, wenn wir ungefähr wissen, wie eine solche Gesellschaft aussehen würde, über welche Werte sich eine solche Gesellschaft definiert, für welche Werte sie also steht und welche Freiheiten es in einer solchen Gesellschaft gibt. Sie könnte ja durchaus auch dystopisch sein!
Ich könnte jetzt natürlich all die Dinge aufzählen, die ich in meiner jetzigen Situation gerne machen würde, wenn ich mir um meine finanzielle Absicherung keine Gedanken machen müsste, aber das wären alles keine Dinge, die ein ganzes Leben ausfüllen würden. Es stellt sich mir auch die Frage, ob ich diese Dinge denn auch noch machen wollen würde, wenn ich in der erdachten Gesellschaft leben würde, denn die Sozialisierung wäre eine komplett andere.
Was würde ich in einer solchen Gesellschaft also machen? Die Antwort ist, dass ich es nicht weiß.
Claudia hat kürzlich in ihrem Blog über den Kapitalismus nachgedacht und ich schrieb ihr, dass die Kategorien, in denen wir denken, weil wir in ihnen sozialisiert wurden, keine Naturgesetze sind. Aber ebenso sind auch die Handlungen, die Träume, die ich mit meiner jetzigen Sozialisierung gerne umsetzen würde, keine Naturgesetze und sie wären in einer solchen Gesellschaft ganz andere.
2011 habe ich schon einmal auf eine ähnliche Frage geantwortet. Damals ging es um das Grundeinkommen und alles, was in diesem Artikel steht, würde ich tatsächlich auch heute – 13 Jahre später – immer noch gerne tun, wenn wir denn ein Grundeinkommen bekämen. Der Unterschied, weswegen ich damals so einfach auf die Frage antworten konnte, ist aber, dass meine Sozialisierung dieselbe wäre, sich aber durch das Grundeinkommen der Möglichkeitsraum verändern würde. Nachdem ich den Artikel heute noch einmal gelesen habe, ist mir auch aufgefallen, dass ich zwei der Dinge auch einfach umsetzen könnte, auch ohne Grundeinkommen und deswegen sollte ich die in diesem Jahr vielleicht einfach mal angehen.
Ich habe auch vor einiger Zeit über diese Frage nachgedacht. Und ich war auch vor der Pandemie ein Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommen.
Das änderte sich jedoch, denn ich denke jetzt, dass das nicht funktionieren würde.
Zuerst würde niemand mehr diverse Aufgaben machen, wenn sie die Möglichkeit hätten anders an das Geld zu kommen. Warum sollte ich mich an einer Hotline oder einer Kasse beschimpfen lassen?
Zweitens hat die Pandemie gezeigt, dass dieses Land viel zu viele Egoisten hat. D.h. auch das Sozialsystem würde einbrechen. Trotz gutem Gehalt will ja immer noch niemand in die Pflegeberufe.
Drittens. Wir sind neidisch. Schau nur, wie gerade auf die Bürgergeld Empfänger und die Flüchtlinge gehackt wird. Dieses „Ich bin mit dem zufrieden“ gibt es nicht, also wird es immer das streben nach mehr geben und das wiederum baut wieder Hierarchien auf.
Und zu guter Letzt die Gier der Reichen. Wenn jeder eh z.B. 1000 Euro bekommt, dann werden die Preise und die Mieten um diese 1000 Euro in die Höhe gehen, weil das Geld ist dann eh da.
Auf jeden Fall ist das ein sehr spannendes Thema und wir kratzen gerade nur an der Oberfläche.