Es ist Montag. Ich bin bereits seit ein paar Stunden mit dem Zug unterwegs gewesen und stehe jetzt auf einer Fähre im Kurort Rathen, die meinen Wanderkollegen und mich auf die andere Seite des Flusses bringt. Dort wartet die Sächsische Schweiz auf uns, um von uns wandernd entdeckt zu werden. Vielmehr von mir, denn mein Wanderkollege ist hier schon öfters gewandert, kennt die Sächsische Schweiz also schon, für mich ist sie ganz neu.

Ich bin direkt verliebt in die Landschaft und bin ganz froh, dass ich sie noch durchwandern kann, bevor der Klimawandel richtig zuschlägt, und die Gegend nicht mehr so schön grün ist, wie sie es jetzt noch ist. Jetzt die Zeit noch nutzen für Wanderungen, bevor es zu spät ist, bevor Natur zum Mangel wird. Und das wird sie, wenn wir als Gesellschaft nicht endlich ins Handeln kommen. Das wird sie, wenn Parteien Wahlen gewinnen, die mit dem Auto Wahlkampf führen und Parteien Wahlen verlieren, die den Klimaschutz ins Zentrum ihrer Politik stellen.

Wir wandern los, müssen kurz nach dem richtigen Weg suchen, der uns den Einstieg in die grüne Welt der Sächsischen Schweiz ermöglicht. Es geht Bergauf, die Luft tut gut, ist ganz anders als die Luft in der Stadt. Es sind nur wenige Autos unterwegs und während der Wanderung kann ich sogar für eine ganze Weile die Autos komplett vergessen, weil sie nicht zu hören und auch nicht zu sehen sind. Zu sehen ist ein Fluss, zu sehen sind grüne Bäume, grüne Wiesen und viele Blumen. Zu sehen sind aber auch viele umgestürzte Bäume, Bäume, die uns den Weg versperren, wenn es nicht vorher schon Schilder gemacht haben, die auf die Lebensgefahr hinweisen, die durch den Klimawandel entstanden ist, weil Bäume absterben, keinen Halt mehr haben, umfallen.

In Berlin versuchen die Klimaaktivist*Innen der Letzten Generation auf die Dringlichkeit des Themas hinzuweisen. Sie wollen die Stadt stilllegen, den Alltag unterbrechen, möchten, dass die Politik sich an Verträge hält, die sie selbst geschlossen und ratifiziert hat. Sie möchten eine lebenswerte Welt erhalten, in der auch kommende Generationen noch Lebensgrundlagen vorfinden, die ein gutes und lebenswertes Leben ermöglichen. Eigentlich ein Ziel, dass wir als Gesellschaft mit Priorität verfolgen sollten. Uns sollte egal sein, wenn für den klimagerechten Umbau der Stadt Parkflächen verloren gehen, keine Partei sollte mit der Angst vor dem Verlust von Parkplätzen Wahlen gewinnen! Wir sollten einsehen, dass wir uns die vielen Autos einfach nicht mehr leisten können, wenn wir als Menschheit eine Zukunft haben möchten. Es sollte uns bewusst werden, dass wir nicht so weitermachen können, wenn wir auch in 50 Jahren noch einen lebenswerten Planeten haben möchten.

Die Wanderung führt durch Täler, neben uns der Fluss, der uns eine ganze Zeit begleitet. Dann geht es richtig ins Sandsteingebirge. Viele Treppen hoch und auch wieder viele Treppen runter. Ich könnte schwören, dass es sogar viel mehr Treppen nach unten als nach oben sind. Es ist wirklich schön, es ist erholsam, es bringt Frieden mit sich. Aber es sind auch immer wieder die Schäden zu sehen, die der Klimawandel jetzt schon anrichtet. Schäden durch Trockenheit und Hitze.

Frieden hatte ich in Berlin nicht, als ich dazu aufforderte, sich auch Gedanken über die Sachzwänge derer zu machen, die durch die Letzte Generation aus ihrem Alltag gerissen werden. Auf gar keinen Fall wollte ich damit die Gewalt gegen Aktivist*Innen der Letzten Generation legitimieren, ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Wut, die sich da auf die Aktivist*Innen der Letzten Generation projiziert, auch gewisse Ursprünge hat. Dabei ging es mir auch gar nicht darum, die Schuld für die Gewaltausbrüche bei der Letzten Generation zu suchen. Sie liegt in systemischen Zwängen, die der Kapitalismus mit sich bringt und die Klimaaktivist*Innen sind halt genau die Projektionsfläche, die bei anderen Gründen im Stau zu stehen und Zeit zu verlieren meist fehlt. Sie sind da, sie unterbrechen den Alltag, sie zwingen Menschen für diesen Augenblick ihren Willen auf, üben somit auch eine Form von Gewalt aus, auch wenn es keine körperliche ist und bringen dadurch manch einen Kessel – ja, ich meine damit Menschen, die im Stau stehen – zum platzen!

Ich halte die Aktionen der Letzten Generation für legitim, sie gehören zu einer demokratischen Gesellschaft und könnten gesellschaftliche Debatten ins Laufen bringen. Dazu müssen sie es aber schaffen, Kämpfe zu verbinden, Gräben zu überbrücken, eine gemeinsame Basis zu finden, damit die Wut sich nicht auf die Klimaaktivist*Innen projiziert. Dazu müssen wir aber erkennen, dass die Freiheit auch in Deutschland ungerecht verteilt ist. Rahel Süss sagt dazu:

Ein formaler Einbezug aller Stimmen in einen deliberativen Prozess garantiert noch keine gleiche Freiheit, da sie die strukturelle Voreingenommenheit in Debatten zugunsten wohlhabender und gut vernetzter Eliten ignoriert. Indem wir – gemäß der liberalen Tradition – soziale Konflikte vor allem als Meinungskonflikte und nicht als Konflikte um Ressourcen und Macht verstehen, gerät die Fähigkeit der politischen und wirtschaftlichen Eliten aus dem Blick, das gemeinsame Interesse für ihre partikularen Interessen zu mobilisieren.

Quelle: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/radikale-demokratie-fuer-das-klima/

Vielen, die da im Stau stehen, ist nämlich durchaus bewusst, dass ihr Verhalten für das Klima von Morgen nicht gut ist, sie leben aber in einem Gesellschaftssystem, wo sie sich ein anderes Verhalten halt meist nicht leisten können, weil sie eben auf ihre Arbeit angewiesen sind, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Diese Menschen können nicht frei entscheiden, sie entscheiden auf Grundlage der Sachzwänge, weil sie Rechnungen bezahlen müssen, weil sie Lebensmittel und Kleidung brauchen, weil sie Geld für die Erziehung ihrer Kinder benötigen.

Und genau diese Unfreiheit ist es, die ich gerne mitgedacht sehen würde, wenn die Letzte Generation sich wieder auf die Straße klebt. Wenn das nämlich mitgedacht wird, wenn die Aktivist*Innen darüber mit den Menschen ins Gespräch kommen, sie zeigen können, dass dieser Kampf auch geführt wird, um die Situation dieser Menschen zu verbessern, die Ungleichheit bei den Freiheiten abzubauen und sich dadurch auch für diese Menschen eine bessere Zukunft auftut, dann könnte sie damit einen gemeinsamen Kampf ermöglichen.

Hans Rackwitz drückt es so aus:

Die Tatsache, dass wir gezwungen sind, unsere alltägliche soziale Reproduktion mangels Alternativen auf Kosten der Umwelt abzusichern, gilt es zu politisieren.

Quelle: „Die Zeichen stehen auf Sturm“ – Luxemburg Magazin, Seite 60 und 61.

Genau darum geht es! Eine gemeinsame Basis aufzustellen, gesellschaftliche Kämpfe zu verknüpfen, eine breite Basis aufzustellen, um dann von der Politik die Alternativen einzufordern, die es braucht, damit wir die Grundlagen für eine lebenswerte Zukunft schaffen können. Es bringt den Klimaaktivist*Innen überhaupt nichts, die Wut der Autofahrer*Innen auf sich zu bündeln. Es bringt nichts, wenn dann nur über die Protestform gesprochen wird, nicht aber über die Themen, derentwegen es diesen Protest überhaupt gibt. Es bringt überhaupt nichts, wenn wir das Gegenüber nur noch als Feind*In sehen, weswegen wir nicht bereit sind, Debatten zu führen, sondern nur noch auf unsere Standpunkte bestehen. Wenn wir nicht bereit sind, über uns und unsere eigenen Aktionen zu reflektieren, wo soll dann die Bereitschaft des Gegenübers herkommen, genau dies zu tun?

Thomas Lux hat hier zum Stichpunkt Polarisierung etwas Spannendes gesagt:

Drittens ist die Gegnerschaft affektiv aufgeladen, bis zu Hassgefühlen. Das führt zu Kompromisslosigkeit. Man ist nicht zu Zugeständnissen bereit, weil auf der anderen Seite kein*e Gegner*in, sondern ein*e Feind*in steht …

Quelle: GOOD IMPACT 01/2023 Interview „Im Moment“ mit Klaus Kraemer und Thomas Lux

Nur, wie wollen wir den Klimawandel bekämpfen, wenn wir uns als Feinde sehen? Wenn wir nicht miteinander sprechen können, weil wir die Sachzwänge der anderen einfach abtun, weil diese nichts mit unserer eigenen Lebensrealität zu tun haben? Wie möchten wir Mehrheiten für den Klimaschutz gewinnen, wenn wir nicht auch die Ängste und Nöte der anderen miteinbeziehen und hier Lösungen erarbeiten, die eben genau diese Berücksichtigen, die aufzeigen, dass diese Ängste nicht sein müssen, weil die Gesellschaft, die Klimaschutz umsetzt, eine andere sein wird. Eine Gesellschaft, in der es dann auch nicht diese Nöte und Sachzwänge gibt, die derzeit dazu führen, dass sich Menschen die Freiheit, für Klimaschutz zu sein, einfach nicht leisten können?

Dieses Feindbild habe ich in der Diskussion im Fediverse gut ausgefüllt, weil ich nicht einfach bedingungslos hinter den Aktionen der Letzten Generation stand, weil ich mir erlaubt habe, auch die andere Seite verstehen zu wollen. Dass ich nicht nur die Gewalt des Autofahrers sehen, sondern ich auch die Sachzwänge dahinter thematisieren wollte. Natürlich ist es einfacher, die Menschen dann einfach als Gewalttäter*Innen und Psychopath*Innen hinzustellen, aber wenn wir die Lebensgrundlagen der Menschen wirklich retten wollen, brauchen wir breite Bündnisse, die den Klimawandel angehen, die den Umbau der Städte mittragen, ebenso wie den Umbau der Gesellschaft und der Wirtschaft. Wenn wir das wollen, dann können wir nicht den einfachen Weg wählen, dann müssen wir uns Gedanken machen, dann müssen wir den Mensch hinter der Gewalt und dessen Ängste und Sorgen sehen.

Kurz vor dem Ende der Wanderung gönne ich mir noch ein Softeis. Ob das für künftige Generationen auch noch möglich ist, darüber wird die Gegenwart entscheiden. Wir alle, auch dadurch, ob wir in den Menschen, die eine andere Meinung haben, nur Feinde sehen oder Menschen, die wir mitnehmen müssen, indem wir diese ernst nehmen.

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