Radfahren in Berlin

Ich schreibe ja immer etwas verspätet über Themen, die gerade die Gesellschaft so beschäftigen. Ich muss die meist erst einmal sacken lassen, muss die verschiedenen Eindrücke auf mich einwirken lassen und irgendwann kommt dann der Impuls, dass ich etwas schreiben muss. So auch bei den Klimaaktivisten, die jetzt dafür verantwortlich gemacht werden sollten, dass die Hilfe für eine Person verspätet kam, weil sie durch ihre Aktion einen Stau verursacht haben. Die Klimaaktivist*Innen selbst schreiben, dass damit eine Grenze überschritten ist*, und weißen darauf hin, wer eigentlich die Schuld trägt und warum nicht die Klimaaktivist*Innen selbst. Ich glaube, dieser Artikel war diesmal der Impuls, warum ich auch etwas dazu schreiben muss.

Der Einstieg in diesen Text wird jetzt ziemlich holprig, denn natürlich tragen die Klimaaktivist*Innen mit ihrer Aktion auch eine Verantwortung dafür, wenn Rettungskräfte nicht ganz so schnell beim Einsatzort sind, wie sie es eigentlich sein könnten. Sie sind ja der Auslöser für den Stau und sie wissen ganz genau, dass es da genügend Autofahrer*Innen gibt, die nicht gewillt sind, eine Rettungsgasse zu bilden. Sie wissen das, tragen aber auf gar keinen Fall die Verantwortung dafür, dass sich die Autofahrer*Innen nicht an die Regeln halten! Dennoch tragen natürlich auch die Aktivist*Innen eine Verantwortung und eine Mitschuld, wenn dann an anderer Stelle Menschenleben nicht gerettet werden können. Hier sollten es sich die Aktivist*Innen nicht zu einfach machen, wenn sie dann auf das Versagen und die Verantwortung der anderen Verkehrsteilnehmer hinweisen!

Aber kommen wir nicht alle einmal in solche Situationen? Ich meine, ein Rettungseinsatz ist nicht vorhersehbar und wenn wir der Logik der Presse folgen, dann wäre Protest eigentlich gar nicht mehr möglich. Eine Demo, für die mehrere Straßen gesperrt sind, sorgt auch dafür, dass die Rettungskräfte im Notfall Umwege fahren müssen. Ein Marathon, der mitten in der Stadt stattfindet, ebenso. Der Radfahrer, der bei Grün unbedingt die Kreuzung überqueren muss, obwohl er den Rettungswagen mit Blaulicht hört und sieht, kann auch dafür sorgen, dass der Rettungswagen die Minute verliert, die über Leben und Tod entscheidet. Es gebe da so viele Dinge, wo Menschen ebenso wissen, dass das Risiko besteht, dass die Rettungskräfte im Notfall eben die entscheidenden Minuten verlieren. Werden aber die Veranstalter*Innen von Sportveranstaltungen verteufelt? Ich meine, diese tragen genau dieselbe Verantwortung wie die Klimaaktivist*Innen, wenn am Ende des Tages der Rettungswagen nicht pünktlich am Einsatzort ist. Oder Baustellen, Straßensperrungen, falsch parkende Autos? Die zugestellte Feuerwehrzufahrt? Defekte Wasserleitungen?

Ich weiß gar nicht, was ich da noch alles aufzählen könnte, und dabei habe ich die Klimaveränderung noch gar nicht erwähnt, also die Krise, gegen die die Aktivist*Innen kämpfen. Tragen wir nicht alle die Verantwortung für die Menschen, die in der Zukunft an den Folgen der Klimaveränderung sterben werden? Warum wird das nicht durch die Presse thematisiert und skandalisiert? Sind diese Menschenleben nicht greifbar, weil sie in der Zukunft liegen? Weil es vielleicht Menschen betrifft, die heute noch gar nicht geboren sind oder deren Sterben wir gar nicht mitbekommen, weil wir schon vorher gestorben sind?

Es klappt nicht, hier den moralischen Zeigefinger auf die Klimaaktivist*Innen zu richten, wenn wir als Gesellschaft nicht in der Lage sind, die Krise, die von den Klimaaktivist*Innen in den Brennpunkt geholt wird, zu bekämpfen. Vielmehr soll es eine Ablenkung davon sein, dass wir selbst unserem moralischen Kompass nicht gerecht werden, dass wir selbst täglich Entscheidungen treffen, die Menschenleben gefährden. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht nicht in der näheren Umgebung, aber doch irgendwann und/oder irgendwo.

Ob die Protestform am Ende etwas verändert, das ist eine andere Frage. Die ist aber nicht hier und auch nicht jetzt zu beantworten, weil dies nur rückblickend geschehen kann. Vielleicht deutet aber der permanente Versuch, diese Protestform zu kriminalisieren und die Aktivist*Innen ins schlechte Bild zu rücken, auf die Möglichkeit hin, dass diese Protestform erfolgreich sein könnte. Vielleicht ist das negative Framing, welches die Klimaaktivist*Innen über sich ergehen lassen müssen, ja genau der Hinweis darauf, dass die Politiker*Innen Angst davor bekommen, dass sich in der Gesellschaft doch etwas verschieben könnte.

*Update 24.05.2023: In diesem Artikel war bisher der Blogbeitrag verlinkt, auf den er sich bezieht. Da die Domain und die Webseite der Letzten Generation derzeit aber durch staatliche Behörden gesperrt, bzw. übernommen ist, habe ich den Link vorerst entfernt.

4 Gedanken zu „07.11.2022: Auf den Straßen kleben – Klimaprotest

  1. Man sollte vorhersehbare Dinge (Demo, Marathon…) nicht mit „sich an die Straße klebenden Vollidioten“ vergleichen. Sorry, aber die Schuldfrage hier zu diskutieren ist in meinen Augen völlig lächerlich. Über die Doppelmoral dieser tollen Aktivisten, will ich nun gar nicht erst anfangen mich auszukotzen.

    • Genau da liegt schon das Problem. Menschen, die legitime Anliegen haben, gleich als Vollidioten zu bezeichnen, weil sie Mittel anwenden, die den eigenen Alltag stören. Dabei sind viele Veränderungen durch die Arbeiterbewegung eben nur durch Dinge erkämpft worden, die den damaligen Alltag gestört haben! Ziviler Ungehorsam gehört dazu, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, um Diskussionen zu starten, um so Dinge, die gerade falsch laufen, zu verändern – und beim Klimaschutz läuft eine ganze Menge falsch!

      Und über die Doppelmoral brauchen wir tatsächlich nicht diskutieren, weil es die nicht gibt. Die Aktivist*Innen kämpfen für gesamtgesellschaftliche Veränderungen und setzen eben nicht auf individueller Ebene an. Und die Dinge, die sie fordern (Tempolimit und 9,- Euro Ticket) sind jetzt auch keine so gravierende Eingriffe und durch die Politik durchaus umsetzbar.

      Und nein, wir brauchen auch nicht auf die andere Ebene gehen, dass sie andere Formen der demokratischen Teilhabe wählen sollten. Friday for Future zeigt, dass das nichts bringt. Ebenso hat das Einklagen der Klimaziele nichts gebracht, obwohl die Kläger*Innen recht bekommen haben!

  2. Von wegen keine Doppelmoral. Aber klar, Privatleute und Klimaschützer sind ja 2 paar Stiefel, das ich nicht lache. Das ist sowas von lächerlich. Wenn ich dann noch so Aussagen lese wie „Lebensumstellung sei aber keine Voraussetzung für den Protest“, bekomm ich echt Brechreiz. Ich mache wahrscheinlich mehr für den Klimaschutz wie die meisten von denen und ich überzeuge allein durch mein Handeln auch andere Menschen davon, da brauch ich mich nicht an die Straße pappen.

    • Ich würde mit dir jetzt gerne in eine Diskussion gehen, darüber diskutieren, wer zum Beispiel die Verantwortung für eine nicht gebildete Rettungsgasse trägt, aber ich mache es nicht, obwohl ich weiß, dass das früher durchaus möglich war. Allerdings ist deine Sprache inzwischen sehr aggressiv geworden, was nicht darauf hindeutet, dass hier eine Diskussion gewünscht ist, sondern du möchtest deine Meinung nur aussenden. Das ist okay, aber da mache ich mir jetzt halt nicht die Mühe, wirklich tiefer einzugehen.

      Halten wir fest: Es ist super, dass du viel für den Klimaschutz machst und noch viel schöner ist es, dass du durch dein Handeln andere davon überzeugen kannst. Dennoch sollte es möglich sein, die Ängste derer zu sehen, die eben auf radikalere Mittel zurückgreifen. Mache ich ja auch, obwohl ich mit dem Ankleben auf Straßen auch nicht viel anfangen kann.

      Edit: Und ja, es ist in Ordnung, dass es Themen gibt, wo mensch nur senden möchte. Ist bei mit bei Coronaleugnern durchaus der Fall.

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