Ich werde heute schon den ganzen Tag mit Nachrichten überfordert, in welchen sich Menschen darüber aufregen, dass eine rechte Meinungsmacherin einfach entlassen wurde. Dass das die Demokratie kaputt macht, es die Meinungsfreiheit aushöhlt. Wir müssen auch unliebsame Meinungen aushalten, höre ich aus allen Ecken, sogar aus denen, wo immer Partys zu hören sind, wenn linke Meinungsmacher*Innen verstummen, weil sie durch Hass-Kampagnen an den Rand gedrängt worden.

Ich höre, dass wir Hass und Hetze nicht Hass und Hetze nennen dürfen, wenn es sich bei dieser Hetze um Bibelzitate handelt und ich höre, dass wir niemals mit Gewalt antworten dürfen, auch wenn die Gegenseite ständig zur Gewalt aufruft und diese Gewalt auch anwendet! Und ja, ich bin auch gegen Gewalt, aber sie beginnt halt nicht erst, wenn es körperlich wird, sie beginnt schon dort, wo marginalisierte Gruppen an den Rand gedrängt werden, sie beginnt dort, wo die schwächsten Gruppen der Gesellschaft stigmatisiert werden, sie mit Repressionen überhäuft werden, sie weiter ausgegrenzt werden, sie für alles die Schuld bekommen, was in der Gesellschaft schiefläuft. Und ja, auch der ständige Aufruf zur Gewalt ist eben schon Gewalt, die Menschen fertig macht, die Menschen verstummen lässt. Und dann komme ich innerlich in Widersprüche, denn was ist die Antwort darauf, wie wollen wir die Demokratie verteidigen, wie wollen wir die Rechte von marginalisierten Gruppen erhalten, wenn wir die Gewalt der Anderen einfach hinnehmen müssen, wenn wir mit Argumenten nicht dagegen ankommen können? Wie sollen wir dann eine wehrhafte Demokratie sein, wenn wir nicht wehrhaft sein dürfen? Und dann ging mir den ganzen Tag die Frage durch den Kopf:

Ab wann lädt mensch Schuld auf sich für Dinge, die in einer möglichen Zukunft passieren könnten?

Wir sehen, wohin sich die USA entwickelt und wir sehen, dass sich die EU in dieselbe Richtung entwickelt, aber wir haben keine Antworten. Wir verstummen, wir resignieren und kümmern uns nicht, weil wir nicht zu den marginalisierten Gruppen gehören. Wir empören uns, wenn uns rechte Empörungswellen zum Empören aufrufen, oder schweigen und empören uns dann, wenn andere nicht schweigen.

Machen wir uns damit schon schuldig? Tragen wir dadurch schon eine Schuld am zukünftigen Leid von Menschen, die von Rechtsextremen und Faschisten entmenschlicht werden? Die – wenn es die Zukunft zulässt – wieder in Lager getrieben werden, weil sie nicht der Norm entsprechen? Entsteht diese Schuld schon jetzt, wo wir Möglichkeitsräume verstreichen lassen, in denen wir diese Entwicklungen hätten aufhalten können?

Wir sehen, wohin die Gesellschaft treibt und die Politik macht weiter so, als ob es diese Entwicklung nicht gäbe. Sie plant Instrumente zu schaffen, mit der unliebsame Meinungen schnell zum Verstummen gebracht werden könnten, wenn diese dann einer faschistischen Regierung zur Verfügung stehen. Instrumente, die dann sogar demokratisch legitimiert wären und wo wir jetzt noch den Möglichkeitsraum haben, diese zu verhindern. Und der Großteil der Gesellschaft schaut zu, sagt, dass sie nichts zu verbergen hätte, bleibt teilnahmslos. Laden wir damit nicht auch schon eine Schuld auf unsere Schultern, eine Schuld an zukünftiges Leid von Menschen, die durch diese Instrumente unterdrückt und mit Gewalt überzogen werden?

Wie sieht es aus mit Menschen, die von einem links-grünen Meinungsmainstream fabulieren, von dem wir Lichtjahre entfernt sind und die den Rechtsruck in der Gesellschaft einfach ignorieren? Die ihn sogar legitimieren wollen, weil es eben diesen links-grünen Mainstream gibt? Ab wann tragen diese Menschen eine Schuld an dem, was in einer dystopischen Zukunft passieren könnte?

Ich schweife schon den ganzen Tag durch diese Gedankenwelt, denn ich glaube nicht, dass die Schuld nur bei denen liegt, die am Ende wirklich Menschen in Lager treiben, die wirklich all die Gewalt gegen marginalisierte Gruppen durchführen, zu der heute aufgerufen wird. Ich bin mir sicher, dass die Schuld nicht nur den Menschen gegeben werden kann, die in einer solchen Gesellschaft dann schweigen, weil sie keine Möglichkeitsräume mehr haben, sondern ich sehe die viel größere Schuld in der Gegenwart, wo es Möglichkeitsräume gibt, die wir aber nicht nutzen!

Nicht nutzen, weil wir Angst vor Nachteilen haben, sollte sich der Trend nach rechts durchsetzen und eine faschistische Regierung an die Macht kommen. Weil wir uns nicht solidarisch zeigen wollen mit Menschen, die gegen diese Menschenfeinde aufstehen, die laut dagegen halten. Weil wir zu bequem sind und nicht diskutieren möchten. Weil wir nicht diskutieren können, weil wir es nicht gelernt haben, miteinander in den Diskurs zu gehen.

Wann sind wir also an dem Punkt, an dem wir Schuld an all dem zukünftigen Leid auf uns laden?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir bieten Ihnen an, auf unseren Internetseiten Fragen, Antworten, Meinungen oder Bewertungen, nachfolgend nur „Beiträge genannt, zu veröffentlichen. Sofern Sie dieses Angebot in Anspruch nehmen, verarbeiten und veröffentlichen wir Ihren Beitrag, Datum und Uhrzeit der Einreichung sowie das von Ihnen ggf. genutzte Pseudonym.

Rechtsgrundlage hierbei ist Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO. Die Einwilligung können Sie gemäß Art. 7 Abs. 3 DSGVO jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Hierzu müssen Sie uns lediglich über Ihren Widerruf in Kenntnis setzen.

Darüber hinaus verarbeiten wir auch Ihre IP- und E-Mail-Adresse. Die IP-Adresse wird verarbeitet, weil wir ein berechtigtes Interesse daran haben, weitere Schritte einzuleiten oder zu unterstützen, sofern Ihr Beitrag in Rechte Dritter eingreift und/oder er sonst wie rechtswidrig erfolgt.

Rechtsgrundlage ist in diesem Fall Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO. Unser berechtigtes Interesse liegt in der ggf. notwendigen Rechtsverteidigung.

Auszug aus unserer Datenschutzerklärung.

To respond on your own website, enter the URL of your response which should contain a link to this post's permalink URL. Your response will then appear (possibly after moderation) on this page. Want to update or remove your response? Update or delete your post and re-enter your post's URL again. (Find out more about Webmentions.)