Ich habe im letzten Jahr einiges gelernt, habe an einigen Stellen meine Meinung zu Covid-19 und die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung anpassen müssen, habe mich auch immer an alle Auflagen und Maßnahmen gehalten, die eingeführt wurden. Eine Maßnahme jedoch lehne ich schon seit dem Beginn der Pandemie ab und bisher konnte mich auch keiner davon überzeugen, warum diese notwendig sein sollte. Ich rede von nächtlichen Ausgangssperren, die es in einigen Bundesländern schon gab oder gibt.
Nächtliche Ausgangssperren: wo ist der Sinn versteckt?
Kontaktbeschränkungen, Reisebeschränkungen und Masken, alles irgendwie sinnvoll, aber nachts in der Wohnung hocken? Ist das Virus in der Nacht ansteckender? Was spricht gegen nächtliche Sparziergänge, wenn die Kontaktbeschränkungen eingehalten werden? Zum Teil vielleicht sogar nur in der Nacht eingehalten werden können, weil da bedeutend weniger Menschen unterwegs sind, weil eh alles geschlossen ist? Es ergibt keinen Sinn für mich! Es trifft die, die sich an die Maßnahmen und Vorgaben halten, die aber in der Nacht ihre Zeit gefunden haben, um sich Angstfrei draußen zu bewegen, weil sie in der Nacht die Wege für sich haben und die Begegnungen mit anderen Menschen minimiert sind.
Ich glaube nicht daran, dass sich Menschen, die sich jetzt schon nicht an die Kontaktbeschränkungen halten, durch eine nächtliche Ausgangssperre davon abhalten lassen, sich mit anderen Menschen auf ein Bier zu treffen. Die machen das dann halt nicht mehr draußen an der frischen Luft, sondern in geschlossenen Räumen: Wohnungen, Garagen oder Kellern. Dadurch steigt die Gefahr der Ansteckung noch einmal und ich weiß nicht, ob dies das Ziel einer Maßnahme sein sollte.
Sinnvolle Maßnahme oder nur autoritärer Machtbeweis?
Vielmehr scheint es mir, dass der Staat mit solchen Maßnahmen seine Macht beweisen will. Ich finde es eh erschreckend, wie autoritär unsere Gesellschaft noch immer eingestellt ist. Wie wenig selbstbestimmt wir als Menschen Entscheidungen treffen können, weil wir lieber auf eine starke Führung setzen, die uns sagt, was wir zu tun haben, anstatt kollektiv in einer starken demokratischen Gesellschaft die Entscheidungen zu treffen. Wir suchen uns dann lieber Einzelpersonen, denen wir unsere Entscheidungen anvertrauen, obwohl das gar nicht deren Aufgabe wäre. Aber okay, eine Gesellschaft, die in autoritäre Institutionen gezwängt ist, Institutionen wie Familie und Schule, ist halt noch nicht weit genug, um auf autoritäre Führungspersonen zu verzichten.
Und dann die Wirtschaft …
Noch interessanter wird es allerdings dann, wenn Maßnahmen – wie in Berlin zum Beispiel die beschlossene Home-Office-Pflicht – als Misstrauensvotum gegen die Wirtschaft betitelt werden, die gesamten anderen Maßnahmen aber nicht als Misstrauensvotum gegen die Bevölkerung. Überlegen sich die zuständigen Menschen eigentlich vorher, was sie so von sich geben oder meinen die das wirklich so? Ist die Pflicht, zumindest einen Teil der Menschen endlich ins Home-Office zu schicken, nicht sogar die sinnvollere Maßnahme? Sinnvoller, als Menschen in der Nacht in ihre Wohnung zu sperren? Und sollte ein Jahr Pandemie nicht auch genügend Vertrauen gewesen sein, welches die Wirtschaft nicht genutzt hat, um die Menschen zu schützen und ihnen das Arbeiten im Home-Office zu ermöglichen?
Natürlich ist das eine Einschränkung, aber die Pandemie ist nun einmal eine Zeit, in der wir uns einschränken müssen. Es gibt genügend Menschen, die seit einem Jahr kein Geld mehr verdienen, die ihre Existenz aufgeben mussten, die sich nach der Pandemie vollkommen neu erfinden müssen. Da ist die Einschränkung, die Menschen im Home-Office arbeiten zu lassen, meiner Meinung nach immer noch kein wirkliches Misstrauen, sondern eine Schutzmaßnahme, die schon längst durch die Wirtschaft selbst hätte umgesetzt werden müssen! Und wer jammert, dass das jetzt alles sehr kurzfristig ist: Nein, ist es nicht, wir haben jetzt ein Jahr lang Pandemie! Letztes Jahr um diese Zeit hätte ich dieses Argument gelten lassen, jetzt ist es aber kein Argument mehr, jetzt ist es nur noch eine Frechheit.
Wir sind jetzt ein Jahr lang in der Pandemie und wir haben uns ein Jahr lang als Gesellschaft nicht weiterentwickelt. Viele sehen ja Krisen immer wieder als Chancen, um eine gesellschaftliche Entwicklung anzustoßen, die Pandemie gehört eindeutig nicht zu diesen Krisen. Die Wirtschaft steht weiterhin über allem, arme Menschen werden im Stich gelassen, genauso wie ärmere Länder und Kontinente. Der nationale Egoismus nimmt noch weiter zu, Eigentum – in Form von Patenten – wird weiterhin höher bewertet als die Gesundheit und das Leben von vielen Milliarden Menschen und ein wirklicher Wandel hin zu einer kooperativen Welt ist weiterhin nicht in Sicht. Aber Menschen nachts in der Wohnung einsperren, das wird wahrscheinlich genau die Maßnahme sein, die uns sicher aus dieser Pandemie führen wird.