„Politik interessiert mich nicht, ich bin ein total unpolitischer Mensch!“, wer kennt sie nicht, diese Aussage? Wer hat nicht einen Menschen in seiner Verwandtschaft oder in seinem Freundeskreis, der von sich behauptet, dass er oder sie total unpolitisch ist? Persönlich muss ich immer schmunzeln, wenn ich diese Aussage höre, denn viele unserer Handlungen, unserer Meinungen und unserer Entscheidungen sind politisch, haben politische Dimensionen, die uns zwar nicht immer bewusst sind, die dadurch aber nicht verschwinden. Ich schmunzle auch deswegen, weil von derselben Person dann zwei Sätze später politische Positionen bezogen werden, die ganz klar als diese zu erkennen sind. Für mich gibt es keine unpolitischen Menschen und fast jede Entscheidung, die ein Mensch trifft, ist Politik.
Natürlich ist es eine persönliche Entscheidung, wenn ich mich morgens auf mein Fahrrad setze und damit zur Arbeit fahre, es ist aber gleichzeitig auch eine Entscheidung, die das Gemeinwesen betrifft, denn durch meine Fahrt mit dem Rad entlaste ich meine Umwelt von CO2-Emissionen und weil ich noch etwas für meine Gesundheit mache, entlaste ich damit auch das Gesundheitssystem. Ich könnte mich auch dazu entscheiden, mit dem Auto zu fahren, würde dadurch aber CO2 Ausstoßen und so die Luft verschmutzen, die nicht mir gehört, sondern der gesamten Gesellschaft.
Ein anderes Beispiel ist der Kaffee, den ich auf dem Weg zur Arbeit trinke. Auch hier kann ich die persönliche Entscheidung treffen, einen Mehrwegbecher zu benutzen oder auf einen Einwegbecher zurückzugreifen. Und auch mit dieser Entscheidung beeinflusse ich nicht nur meinen individuellen, sondern auch den gesellschaftlichen Raum. Ich verschwende Ressourcen oder ich schone sie, meine persönliche Entscheidung, die auch wieder eine politische Dimension einnimmt.
Ich könnte an dieser Stelle noch mehr Beispiele bringen, zum Beispiel die Mülltrennung und Müllvermeidung, die Entscheidung für Einweg- oder Mehrwegprodukte, Vorurteile gegenüber anderen Menschen und vieles mehr. Dinge, die bewusst und unbewusst laufen, mit denen wir aber die Gesellschaft an sich formen, dazu gehört auch die Ausgestaltung der eigenen Familie und vieles mehr. Politik, das sind all die persönlichen Entscheidungen, die nicht nur eine Wirkung auf den individuellen Raum, sondern auch auf den gesellschaftlichen Raum entfalten. Aber nicht nur die, denn Politik steckt auch in unseren Werten und Überzeugungen, Politik steckt natürlich auch in Parteien und Gesetzen, also in allem, was sich auf unser Leben und auf das Leben all der anderen Menschen auf dieser Welt auswirkt.
Politik ist für mich also die Wechselwirkung all unserer Werte, unserer Entscheidungen und unserer Weltanschauung. Jedes Vorurteil ist Politik, weil es eine – meist negative – Wechselwirkung auf andere Menschen hat. Jede Beziehung ist Politik, jede Freundschaft.
Wenn von meinen Verwandten oder Freunden also jemand sagt, dass er unpolitisch wäre, antworte ich meist mit einem Grinsen, denn selbst diese Aussage ist in ihrer Wechselwirkung zur Gesellschaft schon wieder politisch, auch wenn sie vielleicht nur Ausdruck von einer gleichgültigen Einstellung zur aktuellen Politik ist.
Dieser Artikel ist meine Antwort auf die Reflexionsfragen zum Online-MOOC „Einführung in die Politikwissenschaft„, der durch die oncampus GmbH angeboten wird. Ich sammel die Texte auch hier im Blog, damit sie nicht in den unweiten des Internets verloren gehen.