Für den Buchstaben „N“ in meinem Lebens-ABC habe ich mir das Wort „Nichtwissen“ ausgesucht. Ich finde, es gehört zum Leben dazu und hat für mich auch keine negative Bedeutung. Wir wissen einfach vieles nicht und das ist auch okay, weil es einfach viel zu viel Wissen gibt und viel zu wenig Zeit, um all dieses Wissen zu entdecken! Es sollte ein einfacher Artikel über das Nichtwissen sein, darüber, dass wir alle emotionale Blobs*1 sind, eine Bezeichnung, die ich mir woanders geklaut habe und die mir super gut gefällt, doch dann habe ich angefangen, nach dem Thema Nichtwissen zu googeln!
Das hätte ich lieber nicht machen sollen, denn mein Nichtwissen über das Nichtwissen ist riesig! Es war plötzlich die Sprache vom unbekannten Nichtwissen, vom bekannten Nichtwissen, vom nicht-Wissen-wollen und vom nicht-Wissen-sollen. Es drehte sich mir der Kopf, denn das Nichtwissen ist echt kompliziert und gar nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Es gibt also viele Ebenen des Nichtwissens und ich finde alle Ebenen irgendwie spannend. Das unbekannte Nichtwissen zum Beispiel. Wissen, von dem wir gar nicht wissen, dass wir es nicht wissen, weil es noch unbekannt ist. Wahrscheinlich der Raum, der viele Ideen zulässt, weil er unbekannt ist, weil niemand weiß, welches Wissen sich in diesem Raum versteckt. Viel Raum für Phantasie und Neugierde und wahrscheinlich der Raum, den ich eigentlich adressiere, wenn ich über das Nichtwissen rede.
Das nicht-Wissen-wollen ist wohl der Raum, der als Schutzraum agiert, denn darin befindet sich Wissen, welches wir nicht wissen wollen. Ob es immer richtig ist, dieses Wissen nicht zu wollen, darüber lässt sich mit Sicherheit streiten, aber für die mentale Gesundheit ist dieses nicht-Wissen-wollen wahrscheinlich unheimlich wichtig. Auch für mich, denn wahrscheinlich würde ich nicht mehr funktionieren, wenn ich all dieses Wissen an mich heranlassen würde. Was würde mir zum Beispiel das Wissen bringen, an welchem Tag ich sterben werde? Würde es mich motivieren, vorher noch was zu erreichen oder würde es mich in Lethargie verfallen lassen? Oder wenn ich das Wissen über Kriegsverbrechen noch mit all dem Nichtwissen über die grausamen Details anreichern würde, was würde das mit mir machen? Vielleicht ist es nicht immer moralisch korrekt, Wissen nicht wissen zu wollen, aber wir sind – wie ich am Anfang schon einmal erwähnte – emotionale Blobs und wenn wir nicht bewusst entscheiden, was wir nicht wissen wollen, könnte das unsere emotionale Ebene komplett ins Negative verschieben.
Das nicht-Wissen-sollen ist so ein Raum, den ich absolut nicht mag, denn wahrscheinlich ist vieles von dem, was wir nicht-Wissen-sollen wichtig, um informierte Entscheidungen zu treffen. Ich denke hier immer an Politiker*Innen, die in irgendwelchen Hinterzimmern Entscheidungen treffen, die dann im Nachgang unzureichend erklärt werden und deren Entstehung nicht nachvollziehbar sind. In einer Demokratie ist das für mich ein absolutes Unding, denn Entscheidungen und Wege zu diesen Entscheidungen müssen absolut transparent sein, damit die Wähler*Innen auf dieser Grundlage dann auch wieder informierte Entscheidungen treffen können, wenn sie schon nicht die Möglichkeit haben, direkt an dieser Entscheidungsfindung teilzunehmen. Aber es gibt natürlich auch andere Ebenen des nicht-Wissen-sollen. Zum Beispiel, um geliebte Menschen zu schützen, was nicht unbedingt was Negatives ist, aber dennoch negative Folgen haben kann, wenn dieses nicht-Wissen-sollen dann auf einmal zu bekannten Wissen wird.
Dann bleibt noch das bekannte Nichtwissen. Das Wissen darum also, dass das, was wir wissen, nicht komplett ist und es noch Wissenslücken gibt. Wissen also, welches wir noch nicht wissen, wo uns aber bewusst ist, dass wir es noch nicht wissen. Auch das ist – so glaube ich – ein spannender Raum. Vielleicht nicht ganz so spannend, wie der Raum des noch unbekannten Nichtwissens, aber immer noch ein Raum, in dem noch vieles im Schatten liegt, in dem noch Dinge entdeckt werden können, ein Raum, der noch Entdeckbares Wissen enthält.
Puh, seid ihr noch da? Ich gebe zu, das ist nicht der Text, den ich eigentlich mal im Kopf hatte, als ich über das Nichtwissen nachgedacht habe. Aber er zeigt doch deutlich, warum das Nichtwissen zu meinem Leben dazu gehört und warum ich es auch nicht als negative Eigenschaft ansehe. Das Wissen darüber, vieles eben noch nicht zu wissen, hilft dabei, die Neugierde am Leben zu halten und Neugierde ist der Antrieb, der uns Neues lernen lässt. Ich hätte auch einen Lebens-ABC-Eintrag zum Wort Neugierde schreiben können, denn ich finde, dass auch diese Eigenschaft wichtig ist. Da diese aber aus dem Bewusstsein heraus entsteht, vieles eben nicht zu wissen, habe ich mich für das Nichtwissen entschieden.
Auch weil ich damit erklären kann, warum ich – obwohl ich ziemlich neugierig bin – bestimmte Dinge nicht wissen möchte und warum das nicht-Wissen-wollen nicht unbedingt negativ ist. Dass es aber negativ werden kann, wenn wir nämlich gar nichts Neues mehr wissen wollen. Wenn wir nur noch auf unser bekanntes Wissen zugreifen und unbekanntes Wissen komplett ablehnen, weil es nicht mehr in unser Weltbild passt. Weil es vielleicht dazu führt, dass das Wissen, welches wir haben, nicht mehr richtig ist, wodurch eigene Werte, Ansichten und Normen ins Schwanken geraten. Das ist ein Punkt, den ich auch im ursprünglichen Artikel ansprechen wollte. Also in dem Artikel, wo ich ganz viel über emotionale Blobs schreiben wollte, über Neugierde und warum diese so wichtig ist und über konservative Menschen, die nur noch altes Wissen und alte Normen erhalten wollen, weil die Neugierde auf Neues fehlt. Das muss ich jetzt wahrscheinlich in einem anderen Artikel machen.
Und ja, auch dieser Beitrag zum Lebens-ABC bleibt – obwohl viel länger als geplant – ziemlich wage, denn ich muss jetzt noch weiter über das Nichtwissen nachdenken.
- * Die Bezeichnung „emotionale Blobs“ habe ich mir aus dem Buch „Radikal Emotional“ von Maren Urner geklaut (Amazon-Partnerlink). Ich finde, dass ihr das Wissen solltet, gerade weil das Buch absolut lesenswert ist. ↩︎