„Meine Partei hat nur zu wenige Stimmen erhalten, um ihre Politik wirklich umsetzen zu können. Wählt uns also bitte weiterhin, vielleicht klappt es ja irgendwann mit der nötigen Mehrheit, damit wir eure und unsere Werte nicht mehr mit den Füßen treten müssen!“
Ja, ist ein wenig übertrieben, aber so ähnlich hört sich die Argumentation von Parteimitgliedern in den letzten Jahrzehnten immer wieder an, wenn sich Wähler*Innen von der eigenen Partei abwenden, weil die praktisch umgesetzte Politik mit den Werten der Wähler*Innen kollidiert.
Natürlich glaubt von den Wählenden keiner, dass eine Partei, die keine absolute Mehrheit errungen hat, die vielleicht nur 20 Prozent der abgegebenen Wahlstimmen auf sich vereinen konnte, ihre eigene Politik zu 100 Prozent umsetzen kann. Jedem ist bewusst, dass es Kompromisse geben wird und es auch Kompromisse geben muss. Wenn diese Kompromisse aber ständig konträr zu den eigenen Werten stehen, dann wird die Argumentation mit fehlenden Mehrheiten halt irgendwann schwierig.
Wähler*Innen möchten nämlich schon, dass die von ihnen gewählten Repräsentant*Innen auch für gewisse Werte stehen. Die Wählenden möchten schon, dass Parteien auch gewisse Werte hochhalten, für die sie gewählt worden, auch dann, wenn die Mehrheitsverhältnisse schwierig sind! Vertritt die Partei dann aber im Parlament auf einmal Werte, die mit den Werten der Wählenden unvereinbar sind, kann eben auch die Aussage, dass die passende Mehrheit fehlt, einen Bruch nicht verhindern. Dann kann auch nicht auf die Wählenden, die sich von der Partei abwenden, die Schuld abgewälzt werden, wenn das mit den Mehrheitsverhältnissen noch schwieriger wird.
Parteien brauchen Werte und rote Linien, die für die Partei unverhandelbar sind. Rote Linien und Werte, die eben nicht in Kompromissen aufgeweicht und über Board geworfen werden. Werte, auf die die Wählenden vertrauen können, bei denen sie sicher sein können, dass die Partei nicht plötzlich eine konträre Position übernimmt, weil sonst die Regierung platzen könnte. Werte und rote Linien also, die tatsächlich wichtiger sind als eine stabile Regierungskoalition und die notfalls eben auch zu einem Bruch einer solchen Regierung führen!
Parteien brauchen nicht mehr Stimmen, um gewisse Werte und rote Linien hochzuhalten! Sie brauchen rote Linien und Werte, bei denen sie keine Kompromisse eingehen! Dann klappt es auch mit mehr Stimmen von Wähler*Innen!
Da möchte ich dir einfach zu 100% zustimmen.
Das ist wirklich so. Ich hab über die letzten Jahre auch eine Reise über die Wahlliste gemacht und wusste die letzten Jahre immer nur, was ich auf gar keinen Fall wähle.
Da hab ich auch mal die Tierschutzpartei oder die Partei “Liebe“ gewählt.
Das Problem an unserer Demokratie ist wohl, dass wir zu bequem sind, uns auch mal mit kleineren Parteien zu beschäftigen und gleichzeitig die Komplexität zu erkennen, die nicht durch puren Populismus vereinfacht werden kann. Aber daran haben die Politiker*Innen der letzten Jahrzehnte einen großen Anteil, weil Demokratie nach dem 2.Weltkrieg eben nicht zur Normalität geworden ist, weil Institutionen wie Schule, Wirtschaft und – am wichtigsten – Familie, noch immer nicht demokratisch organisiert sind. Wir also keine Demokrat*Innen sozialisieren, sondern autoritäre Menschen.
Und dann kommen halt die Parteien, die keine Standpunkte mehr haben, die ihr Fähnchen in den Wind stellen. Da gibt es dann keine Orientierung mehr, keine Werte, an die sich jemensch festhalten kann. Ich kenne diese Reise durch die Parteienlandschaft, weil ich sie selbst seit Jahren praktiziere. Wobei ich tatsächlich, wenn es Demokratie in Bewegung irgendwann mal auf die Wahlliste schafft, diese Partei wählen würde.