Ich sitze gerade hier und überlege, ob ich jetzt noch einen politischen Blogartikel schreibe, oder ob ich ihn nicht schreibe. Wenn ihr diese Zeilen lest, so ist zumindest ein Blogartikel entstanden, was sich aber in den folgenden Absätzen entwickelt, kann ich derzeit noch nicht sagen. Ausschlaggebend für diesen Artikel ist aber auf jeden Fall eine Antwort auf einen meiner Kommentare auf dem Blog von Maxim Loick und die Tatsache, dass ich dort mit diesen Gedanken vom eigentlichen Thema des Artikels ablenken würde. Dadurch, dass ich euch erst einmal die beiden Kommentare zitieren muss, um die es geht, wird der Artikel auch etwas länger, und da ich noch nicht weiß, wie ausschweifend ich werde, kann ich nicht versprechen, dass ich mich danach kurzhalten werde.
Mein Kommentar:
Hach, so sehr ich dem Artikel im allgemeinen zustimme, so möchte ich doch ein paar kleine Anmerkungen machen.
1. Warum gehen eigentlich alle davon aus, dass dort nur Nichtwähler anzutreffen sind? Tragen die Schilder mit sich rum, auf denen das draufsteht? Oder schließt du das daraus, weil die Leute mit den etablierten Parteien unzufrieden sind? Zweiteres bin ich auch und ich gehe dennoch wählen. Ich habe meine Partei, ganz weit Links von der SPD, gefunden und auch wenn die keine Chance hat in den Bundestag oder in das AGH zu kommen, so ist es die Partei, der ich meine Stimme anvertraue.
2.) Fehler dürfen durchaus gemacht werden, ich glaube nicht, dass das jemand der Politik zum Vorwurf macht. Was aber das Problem ist, ist, dass diese Fehler nicht rückgängig gemacht werden. Nehmen wie doch zum Beispiel die Hartz4 Sanktionen. Warum sind die immer noch nicht abgeschafft? Und jetzt komm nicht damit, dass die CDU die Regierung führt! Es gibt eine Linke Mehrheit im Bundestag, wenn man die SPD und die Grünen denn noch als Linke Parteien anerkennen möchte. Das Problem ist aber, dass man das gar nicht mehr kann. Die SPD ist zur Wirtschaftspartei geworden und die Grünen pflegen ihr streng bürgerliches Wählerpotential – aber okay, das weicht jetzt vom Thema ab.
3.) Wer ist dafür verantwortlich, dass die politische Bildung in Deutschland so schlecht ist? Kann man da wirklich einfach hingehen und sagen, ihr seid zu faul? Sollten sich die Parteien nicht lieber einmal überlegen, warum es in Schulen keinen Lehrfach “Debattieren und politische Diskussion” gibt, oder so ähnlich? (Man könnte es auch “Demokratie” nennen, also das Schulfach.) Wenn den Leuten nicht das nötige Werkzeug an die Hand gegeben wird, dann ist es kein Wunder, wenn sie es am Ende auch nicht tun. Wenn wir in einer Demokratie leben, dann sollten wir die Menschen auch darin Bilden.
Antwort von Herrn Loick:
Lieber Sven,
vielen Dank für Deinen Kommentar.
Zu Deinem ersten Punkt: Mir geht es um die Wahl der politischen Ausdrucksform. Viele glauben, das Nichtwählen wäre ein, dem bin ich in den Wahlkämpfen 2013 und 2014 mehrfach und gehäuft über den Weg gelaufen. Andere glauben gerade, das Marschieren mit rechten Hetzern und dem vor sich hertragen von “Ich verstehe nix mehr, deswegen finde ich die etablierte Politik doof!” sei eine.
Ich plädiere dafür, sich in einer der demokratischen Parteien zu engagieren. Das bringt nicht nur Vorteile für die Gesellschaft insgesamt, sondern vor allem auch für die/den einzelnen. Seit ich 2011 in die SPD eingetreten bin, haben sich mir sehr viele politische Prozesse und Zusammenhänge erschlossen, die mir vorher nicht klar und deswegen auch egal waren. Genau das ändert sich, wenn man anfängt, mitzumachen. Parteien haben einen schlechten Ruf und ich finde, sie haben das zu unrecht. Schon das Mitgliedsein in einer Partei hat einen schlechten Ruf, und auch das, wie ich finde, zu unrecht, denn der ganze Laden funktioniert nur, wenn eine kritische Masse aktiv mitmacht. Wenn Du so willst, ist es mir, bezogen auf die SPD, in diesem Lichte wichtiger, sich in der SPD zu engagieren als sie zu wählen.
Zu Deinen beiden weiteren Punkten: Da sind wir ja bereits voll in der inhaltlichen Debatte zu einzelnen Themen, hurra! Genau das muss man in den Parteien tun und genau das können wir beide hier tun. Damit sind wir aber schon ganz weit weg vom Thema meines Posts, nämlich dem Verhalten derjenigen, die gerade keine Debatten führen wollen, sondern lieber die schnelle Parole in die Straße brüllen möchten und dann tiefbefriedigt wieder nach Hause gehen, weil sie glauben, damit ihrer politischen Pflicht als Wahlberechtigte nachgekommen zu sein.
Und ja, ich finde, man kann diesen Unzufriedenen vorwerfen, dass sie zu faul sind. 1989 haben sich tausende auf die Straßen begeben, um genau dieses Recht einzufordern, das Recht der freien politischen Willensbildung. Jetzt stehen dort andere, die die Parolen von damals benutzen, obwohl sie in einem System leben, das ihnen genau das ermöglicht, was 1989 gefordert wurde. Jede*r kann hier Bundeskanzler*in werden. Jede*r kann hier jeder Partei beitreten, die ihr/ihm am besten passt. Aber niemand wird hier etwas verbessern, indem sie/er Ressentiments gegen Ausländer und sozial schwächer Gestellte schürt.
Bitte sieh mir nach, dass ich an dieser Stelle nicht tiefer auf Hartz IV und die Schuldebatte eingehe, nur so viel: Die Position der SPD zu Hartz IV hat sich ja bereits geändert und wird sich nur weiter ändern, wenn sich genügend Menschen in der SPD einbringen und die Debatte in dieser Partei führen. In der SPD Beuel zum Beispiel rennst Du mit Deiner Kritik an Hartz IV offene Türen ein. In anderen Ortsvereinen mag das anders sein. Oder nehmen wir das Beispiel der Grünen. In Bonn handelt es sich bei denen um ein unfassbar konservativ-bürgerlichen Haufen, der sich mit dem Einkauf teuren Biofleischs im örtlichen Bioladen das Gewissen rein zu halten sucht, auf Bundesebene halte ich die Grünen nach wie vor für einen der wichtigsten Verbündeten gegen den schwarzen Starrsinn.
Also, fangen wir oben an. Das nicht Wählen gehen als politische Ausdrucksform. Ich habe darüber ja auf meinungsschauspieler.de einen Artikel geschrieben. Ich habe dort schon dargelegt, warum es gefährlich für die Demokratie ist, nicht zur Wahl zu gehen und auch, warum dies überhaupt nichts bringt. Dennoch ist es eine politische Ausdrucksform. Die Nichtwähler zeigen damit, dass sie mit der Politik nicht zufrieden sind, dass sie nicht an die jetzige Form der Demokratie glauben und das sie sich von den Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Das sind keine Gründe, die einfach mit Faulheit begründet werden können. Vielmehr sind es Gründe, die die Parteien zu verantworten haben und es wäre deswegen auch die Aufgabe der Parteien, diese Gründe zu zerstreuen. Das passiert aber nicht, indem sie den Nichtwählern Faulheit vorwerfen und dies geschieht auch nicht, wenn sie den Nichtwählern mangelnde Bildung vorwerfen. Natürlich wird auch das auf einige Nichtwähler zutreffen, aber eben nicht auf den Großteil.
Auch der Aufruf, dass die Menschen doch aktiv in den Parteien mitarbeiten sollen, ändert an der ganzen Sache überhaupt nichts, denn dazu müssten die Parteien einen größeren Grad an Basisdemokratie aufweisen. Was passiert denn derzeit in den etablierten Parteien? Die Basis wählt Delegierte, die wiederum Delegierte wählen, damit diese dann auch wieder Delegierte wählen. Die wirklich wichtigen Posten in einer Partei werden also durch wenige Delegierte vergeben, wobei Basisdemokratie eigentlich bedeuten würde, dass die Basis die wichtigsten Parteiposten vergibt.
Jetzt kann natürlich die Antwort kommen, dass ja alle Delegierten irgendwie auch von der Basis gewählt wurden, aber dabei wird halt verkannt, dass sich dadurch die Macht auf verschiedene Netzwerke verlagert, die sich untereinander absprechen und sich so Posten innerhalb der Partei zuschustern können. Netzwerke von Kandidaten, die sich gegenseitig unterstützen, damit ihre Kandidaten sich gegen andere durchsetzen können, indem sie ihre Kandidaten gegenseitig wählen. Dies sollte nicht vergessen werden, wenn über die Möglichkeiten der Einflussnahme in Parteien geredet wird, denn dadurch kann der Mehrheitswillen der Basis ausgehebelt werden – was aber natürlich nicht passieren muss.
Wenn einem das bewusst ist, dann wird erst einmal klar, dass die Mitgliedschaft und die aktive Basisarbeit erst einmal noch nichts an der Politik der Partei ändert. Natürlich hat ein Mitglied einer Partei einen besseren Überblick und er hat auch andere Möglichkeiten, auf Entscheidungen der Partei einzuwirken, aber diese sind nur dann wirkungsvoll, wenn das Mitglied selbst in Netzwerken ist, die sich gegenseitig unterstützen. Und genau das macht Parteienarbeit zu schwierig und genau das ist es, was Menschen davon abhält, sich in Parteien zu engagieren.
Eine Möglichkeit dies zu ändern, wäre, sich auf mehr Basisdemokratie einzulassen. Ja, das kostet sicherlich ein wenig mehr Geld, aber der Gewinn an Demokratie, der dadurch erreicht werden würde, wäre Gold wert. Ein zweiter Schritt wäre dann, sich auch für Nichtmitglieder zu öffnen, ihnen die Mitarbeit an bestimmten Projekten zu ermöglichen. Das könnte vielen Menschen die furcht vor Parteien nehmen und das würde sicherlich auch dazu führen, dass die Parteien Mitglieder dazu gewinnen, aber das verlangt eben halt auch den Mut zur Öffnung und zur Aufgabe von Privilegien, die nur Parteimitglieder genießen.
Hier fällt mir spontan übrigens die Berliner SPD ein, in der ich ja auch mal Mitglied war. Sie hätte sich jetzt viel Vertrauen erarbeiten können, wenn sie die Wahl des Bürgermeisterkandidaten allen Berlinern ermöglicht hätte. Nein, ich rede hier nicht von Neuwahlen, sondern von einem Wahlgang, in dem die Berliner über die drei Kandidaten der SPD hätten entscheiden können. Dies wäre möglich gewesen, indem man in jedem Bezirk die Möglichkeit der Stimmabgabe geschaffen hätte, aber darauf will ich jetzt nicht genauer eingehen, denn die Chance ist ja schon längst vergeben.
Auch politische Bildung ist ein wichtiger Punkt, den die Parteien alle vernachlässigen. Daraus entsteht dann natürlich Unwissen, woraus dann wieder mangelndes Verständnis resultiert. Aber nun einmal ehrlich, wenn der Wähler keine demokratische Bildung erhält, wie soll dann dieses Verständnis entstehen? Einige Mitglieder der SPD fordern ja „Programmieren“ als Schulfach, was meiner Meinung nach nicht falsch ist, aber sie sollten dann halt auch „Demokratie“ als Schulfach fordern. Menschen, die nie gelernt haben, wie sie ordentlich debattieren, wie sie Argumente aufbauen und hinterfragen können, haben nun einmal nicht das Werkzeug, um diese Demokratie tatsächlich mitzugestalten. Wenn die Parteien diesen Mangel aber den Menschen vorwerfen, obwohl die Parteien genau diesen Mangel beseitigen könnten, haben sie noch nicht kapiert, worum es überhaupt geht.
Jetzt muss ich doch einmal kurz auf den eigentlichen Artikel kommen, denn dort ging es um die Pegida-Demonstrationen. Ich bin hier voll auf der Seite des Autors, aber auch hier sollte gefragt werden, warum diese Menschen die Parolen und Vorurteile gar nicht hinterfragen. Ist es wirklich nur Dummheit? Ist es wirklich nur Hass? Oder kommt nicht auch die Hilflosigkeit dazu, dass diese Menschen bestimmte Zusammenhänge sich einfach nicht erschließen können, weil sie das nötige Werkzeug dazu nicht erlernt haben?
Nein, ich möchte die Leute nicht in Schutz nehmen. Wer mit Nazis marschiert erweckt zumindest den Anschein, selbst einer zu sein. Wer dort mitläuft, muss damit leben, wenn er in die rechte Ecke geschoben wird und er muss auch damit leben, wenn er als Nazi betitelt wird. Aber die Politik und die Parteien sollten dabei nicht vergessen, dass sie ihren Anteil dazu beigetragen haben – dass auch sie hier versagt haben.
In diesem Zusammenhang wäre es jetzt eigentlich auch interessant, einmal auf das Thema Hartz4 einzugehen, weil auch hier eine Ursache zu finden wäre, aber ich glaube, dass würde den Artikel jetzt doch zu lang werden lassen. Aber ich möchte dann doch noch auf die Perspektivenlosigkeit einiger Menschen eingehen, und hier kommt dann das System ins Spiel, in dem wir leben. Früher war das mit den Parteien und dem System ja mal ganz einfach. Die Arbeiterparteien – also die SPD und die KPD – wollten den Kapitalismus überwinden. Hier gab es für die Arbeiter, zu denen ich übrigens auch die Erwerbslosen zähle, Perspektiven. Diese waren sicherlich utopisch, aber die Erfolge, welche die Sozialdemokratie erringen konnte, konnten sich durchaus sehen lassen.
Doch diese Trennung ist heute nicht mehr möglich. Die SPD hat sich immer mehr zur Wirtschaftspartei entwickelt. Arbeiterrechte haben sich den Profiten der Unternehmer unterzuordnen, die Überwindung des Kapitalismus ist nicht mehr geplant, die Zähmung schon lange aufgegeben. Da ist es nicht verwunderlich, wenn die Menschen sich nicht mehr wirklich durch die Parteien vertreten sehen, dass sie keine Perspektiven aufbauen können, dass sie keine Utopien haben, an die sie glauben können. Und dann ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich diese Menschen von irgendwelchen Rattenfängern fangen lassen, die sie mit simplen Antworten locken. Und genau deswegen muss die Diskussion tiefer gehen, zumindest dann, wenn man die Ursachen auch ernsthaft beheben möchte. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man diese seltsamen Ängste ernst nehmen muss, sondern dass die Ursachen behoben werden.
[…] Es folgen mal wieder viele Gedanken über Parteien 😉 […]