Nachdem die CDU/CSU knapp 42 Prozent der Stimmen bekommen hat – sie aber keiner gewählt haben will – geht es jetzt fleißig daran, irgendwelche fiktiven Mehrheiten zu basteln. Ich rede da jetzt nicht von den Mehrheiten, die durch eine Koalition entstehen, sondern von den fiktiven Mehrheiten der Wähler, die irgendeine Koalition präferieren sollen. Dem Wählerwillen also, vom dem einige behaupten, dass der ganz klar für eine Schwarz-Rote Koalition ist, obwohl die Union-Wähler eigentlich eine Schwarz-Gelbe Regierung haben wollten. Andere behaupten, der Wähler hat sich klar für Rot-Rot-Grün entschieden und noch andere sind so dreist und behaupten, dass die Mehrzahl der Wähler keine linke Politik will.
Ich könnte mir auch Mehrheiten konstruieren, wenn ich wollte. Ich könnte zum Beispiel eine Studie anführen, die belegt, dass die SPD durchaus mehr Nichtwähler zum Wählen hätte überzeugen können, wenn diese eine Koalition mit der Linkspartei NICHT ausgeschlossen hätte. Ich könnte behaupten, dass die Wähler von SPD und Grünen eher zu einer Regierung mit der Linkspartei tendieren, weil sie die Politik von Schwarz-Gelb ja abwählen wollten – kurz gesagt, ich könnte jetzt vieles behaupten, was ich nicht belegen kann, weil die anderen eben nicht in der Lage sind, das Gegenteil zu belegen.
Fakt ist nur, dass einige die SPD gewählt haben, weil ihnen das SPD-Programm gefiel, andere die Grünen, weil ihnen das Programm der Grünen gefiel und wieder andere die Linkspartei oder die CDU/CSU, weil sie mit dem Programm übereinstimmten. Welche Koalition sie präferieren, konnte der Wähler allerdings nicht kundtun. Eine solche Möglichkeit gab es nicht auf dem Wahlzettel – zumindest nicht bei mir. Es gibt also auch keine Möglichkeit jetzt zu bestimmen, welche Koalition die größere Legitimation in der Bevölkerung hätte. Diese Legitimation kann immer nur nachträglich bei der nächsten Wahl gegeben werden. Entweder ist dann nämlich die Bevölkerung zufrieden mit der Politik der Koalition und wählt diese wieder, oder sie lehnt die Politik ab und entzieht einer solchen Koalition die Legitimation.
Wer eine legitimierte Koalition haben möchte, müsste jetzt die vier möglichen Koalitionsverträge ausarbeiten lassen – also die zwischen Schwarz-Rot (2x), zwischen Schwarz-Grün und zwischen Rot-Rot-Grün – und diese dann dem Wähler zur Abstimmung vorlegen. Das würde also einen zweiten Wahlgang bedeuten, bei dem dann der beste Koalitionsvertrag ausgewählt wird. Nur so könnte eine Koalition eine Legitimation erhalten, denn die zwei möglichen Koalitionen, die vor der Wahl bekannt waren und somit zur Wahl standen, wurden eindeutig nicht gewählt.
Wer also für oder gegen eine Koalition argumentiert, sollte dies immer mit seinen eigenen Argumenten tun und nicht mit irgendwelchen fiktiven Mehrheiten, die man nicht belegen kann. Ist es denn so schlimm, wenn die eigene Meinung nicht mehrheitsfähig ist? Wird man dadurch zu einem Verlierer der Gesellschaft? Kann man eigene Meinungen nur vertreten, wenn man dazu Mehrheiten im Rücken hat? Ich glaube nicht, denn nur weil die Mehrheit etwas für richtig hält, muss es noch lange nicht richtig sein. Hört also auf mit fiktiven Mehrheiten, hört auf zu behaupten, dass die Mehrheit der Bevölkerung keine linke Politik will, oder belegt die Behauptungen durch Fakten. Ansonsten sagt einfach ganz deutlich, dass ihr das nicht wollt, dass ihr andere Dinge präferiert, und fangt so eine vernünftige Diskussion an, eine Diskussion, in der ihr eure Argumente vorbringt und nicht die Argumente von irgendwelchen fiktiven Mehrheiten.
Die rund 11 % nicht vergessen, die unter die 5 %-Hürde gefallen sind. Diese Wähler hatten auch einen Wählerwillen.
Was haben die anderen gewählt, eine vorgegebene Liste. Der überwiegende Teil der Mandatsträger stand daher schon fest. Es gibt demokratischere Möglichkeiten die Zusammensetzung der Parlamente entsprechend dem Wählerwillen zu organisieren.
Wer den Regierungsauftrag hat, sollte allerdings bei diesem Wahlausgang nicht in Zweifel gezogen werden.
Ich persönlich sehe es so, dass die Partei, die die meisten Stimmen vom Volk bekommen hat, die Regierung stellen soll. Wenn es keine absolute Mehrheit ist, soll die Partei dennoch schauen, dass sie eine Koalition mit einer oder mehreren nötigen und möglichen Parteien auf die Beine gestellt bekommt.
Rechenbeispiel mit schlichter 50%-Mehrheit:
Sollte Partei X 49% der Wählerstimmen haben,
Partei Y 25%, Z 20% und YZ 6%, so finde ich, dass Partei X am Zug ist.
Gleiches bei X 34%, Y 33,5% und Z 32,5%. Der Gewinner wäre hier Partei X und soll in meinen Augen die Regierung mit Y oder Z stellen. Nicht aber Y und Z.
Das ist mein Verständnis von einem Resultat, wo der Gewinner feststeht.
Wenn X eine Nazi-Partei ist, die einen Krieg auslösen will und Y+Z diesen verhindern können, sollten die beiden Parteien darauf verzichten, weil X ja die meisten Stimmen bekommen hat, verstehe ich das jetzt Richtig? Oder nehmen wir ein anderes Beispiel Y und Z wollen den Sozialismus errichten, hätten dazu auch eine Mehrheit, aber da X die Wahl gewonnen hat, sollen sie von ihrem Ziel Abstand nehmen und lieber die radikale Marktwirtschaft unterstützen?
Du siehst, so einfach, wie du es dir vorstellst, ist es nicht. Demokratie besteht daraus sich Mehrheiten zu suchen. Gibt einem der Wähler die absolute Mehrheit, dann hat man es leicht, denn dann ist die Suche schon am Wahlabend vorbei. Hat man aber keine eigene Mehrheit und findet die auch nicht, weil die Politik der restlichen Parteien eine ganz andere ist, als die eigene, so muss man auch damit Leben, dann als stärkste Fraktion in die Opposition zu gehen. Es gibt keine Verpflichtung für irgendeine Partei, Mehrheitsbringer für eine andere Partei zu spielen.
Aber machen wir es doch mal konkret an einem Beispiel. SPD, Grüne und Linkspartei sind für einen Mindestlohn und haben für diesen auch eine Mehrheit im Bundestag. Die CDU ist als einzige Partei, die derzeit im Bundestag ist, dagegen. Weil sie aber die Mehrheit haben, bist du jetzt der Meinung, dass die anderen Parteien Politik gegen die Mehrheit der im Bundestag vertretenen Wähler machen soll und den Mindestlohn nicht einführen soll, weil unter den drei Parteien keiner die meisten Stimmen bekommen hat? Warum sollten sie das machen?
Hi Sven
Wenn Partei X eine Partei ist, die uns beiden zwar nicht schmeckt, aber vom Wähler mit Abstand die meisten Stimmen bekommen hat, so soll man hier gegen den Wählerwillen eine Koalition aus Y und Z (oder sogar aus Y, Z und YZ) ans Ruder lassen und die Partei, die die meisten Stimmen des Wählers (das ist das Einbinden der Bürger bei einer demokatischen Wahl) erhalten hat, schickt man in die Opposition? Wird dann hier nicht einfach auf den Wählerwillen gesch***? 😉 Sprich: Fast die Hälfte aller Stimmen entfielen auf Partei X aber sie muss dennoch in die Oppositon da Y, Z und YZ zu Dritt mehr Stimmen haben?
Politik war, ist und wird niemals einfach sein!
Aber hauptsache das Diskutieren mit dir macht Spaß! 😉
Ich verweise noch einmal auf die Kriegspartei X (also mein erstes Beispiel) und die beiden Antikriegsparteien y und z. Was ist dir lieber, dass X zusammen mit Y oder Z einen Krieg vom Zaun bricht, der vielleicht von 30 Prozent der Bevölkerung (nicht von den im Bundestag vertretenen Wählern, sonder Bevölkerung) gewollt ist? Wenn 100 Prozent der Bevölkerung gewählt hätte und 42 Prozent der Bevölkerung für einen Krieg sind, welchen alleine Partei X fordert, aber 58 Prozent der Bevölkerung gegen einen Krieg sind, welche von Partei Y und Z vertreten werden, beide haben genau 29 Prozent der Stimmen bekommen, welche Position hat dann gewonnen?
Nach deiner Aussage ist es Partei X, obwohl sie in der Bevölkerung gar keine Mehrheit besitzt. Partei Y und Z haben sich also den Willen von 42 Prozent der Bevölkerung zu beugen und ihre eigene Mehrheit gegen den Krieg zu vernachlässigen, weil ja Partei X, weil es keine andere Partei gab die den Krieg wollte, die Wahl klar gewonnen hat?
Ich nehme hier übrigens bewusst den Krieg als Beispiel, weil es ganz deutlich macht, was ich meine. Auf der einen Seite steht die Politik des Krieges, die nur durch eine Partei vertreten ist, auf der anderen Seite die Politik des Friedens, die durch zwei Parteien vertreten ist, die zwar dasselbe Ziel haben, es aber auf unterschiedlichen Wegen erreichen wollen.
Dieses Gegensätze sind auch jetzt nach der Bundestagswahl gegeben, auch wenn es nicht um Krieg oder Frieden geht (vielleicht geht es sogar auch darum). SPD,Grüne und Linkspartei wollen, laut Wahlprogramm, eine sozialere und gerechtere Bundesrepublik erreichen. Ihre Hauptforderungen sind die Gleichen, sie haben aber andere Wege, um diese zu erreichen. Auf der anderen Seite steht die CDU/CSU. Welche Politik wurde jetzt gewählt? Wenn man sich die Mehrheit im Bundestag anschaut, dann ist es die, welche die Bundesrepublik sozialer und gerechter machen will. In anderen Ländern würde es da jetzt übrigens auch gar keine Diskussion geben, die Linken Parteien würden ein Bündnis eingehen und die Konservativen würden leer ausgehen. In Deutschland ist da aber die Linkspartei, die ja laut SPD und Grünen, Regierungsunfähig ist. Würde man jetzt ein Bündnis eingehen, wäre das ein Eingeständnis, dass man vor der Wahl gelogen hat und das die Linkspartei eben doch Regierungsfähig ist.
Hi Sven
Wenn Politik so einfach wäre, dass es nur um einen Punkt aus den Wahlprogrammen gehen würde, wie bei dir angegeben – Krieg oder Frieden? Allerdings hat jede Partei ein ganzes Programm und darunter muss der Bürger wählen, welche Partei ihm am nächsten kommt und von welcher Partei er regiert werden will. Anschließend sieht man, welche Partei den Auftrag des Volkes bekommen hat.
Gäbe es nur einen Punkt und 42% sagen Krieg, 58% sagen Frieden, klar liegt dann die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Wunsch nach Frieden. Jedoch ist und bleibt die 42%er Partei die stärkst gewählte Partei. Das kann man nicht vom Tisch wischen. Und da man aber eine Mehrheit braucht, sehe ich dennoch die Auftragserteilung der Bevölkerung bei Partei X, die sich dann eben beugen muss und sich zusammen mit Partei Y oder Z arrangieren muss. Dann nähert man sich an und sucht die goldene Mitte. So ist Demokratie.
Aber Politik nach dem Schema entweder schwarz oder weiß, das gab es nur unter Bush – entweder sind Sie mit mir oder gegen mich. Und wo solch eine Politik hinführt hat man ja gesehen.
Bis bald! 😉
Genau Alex,
und die Wähler der SPD, Linkspartei und der Grünen haben sich klar gegen das Programm der CDU entschieden. Die Programme liegen soweit auseinander, dass sich die Wähler der Partei, die jetzt eine Koalition mit der CDU/CSU eingehen, durchaus betrogen fühlen können. Eine Mehrheit im Bundestag hat die Linke Politik gewählt und die ist nur mit einer rot-rot-grünen Koalition umzusetzen.
Ich wiederhole mich da gerne, Demokratie bedeutet Mehrheiten finden. Findet Frau Merkel keine Mehrheit und bildet sich eine rot-rot-grüne Koalition, dann ist auch das Demokratie. Ob es sich um den Wählerwillen handelt, kann keiner sagen, weil auf dem Wahlzettel keine Präferenz für eine Koalition abgegeben wurde. Das können die Politiker ja gerne in den nächsten vier Jahren noch mit einbauen, ich mache gerne auch 3 oder 4 Kreuze auf dem Wahlzettel, falls es solche Diskussionen verhindert 😉
Hi Sven
Dein Satz: „Die Programme liegen soweit auseinander, dass sich die Wähler der Partei, die jetzt eine Koalition mit der CDU/CSU eingehen, durchaus betrogen fühlen können.“ passt nicht nur auf Rot und Grün, sondern auch auf Schwarz, wenn man das mit den Steuern liest – wenn Sie denn erhöht werden sollen. Das ist bei deiner Mehrheiten-beschaffung eben so. Wenn zwei oder gar drei Parteien zusammenfinden, werden die Schnittmengen immer weniger und man muss eben einen Mittelweg finden. Das ist für die SPD und Grüne, genauso wie für die CDU/CSU.
Und zu deinem: Findet Frau Merkel keine Mehrheit und bildet sich eine rot-rot-grüne Koalition, dann ist auch das Demokratie. – Richtig, ja!
Und solche Diskussionen wie hier sollen nicht verhindert werden, sondern tun doch jedem gut. 🙂