Baumreihe

Baumreihe

Da schalte ich nachts auf Deutschlandradio Kultur um, weil ich mich ein wenig berieseln lassen will, und stolpere dabei in eine Sendung, die mich, obwohl ich erst am Schluss eingeschaltet habe, doch ziemlich sprachlos machte. Ich habe keine Ahnung wie diese Sendung heißt und ich weiß auch nicht genau, was das Thema war, aber die Anrufer, die dort in der Sendung ihre Meinung gesagt haben, lassen mich immer mehr an dieser Gesellschaft zweifeln.

Da ruft eine Dame an, die schon über 80 Jahre alt ist, um sich darüber zu beschweren, dass sie sich nicht einschläfern lassen kann. Sie will sich einschläfern lassen, damit sie nicht auf Kosten anderer lebt und damit sie ja nicht zu einem Pflegefall wird. Das erschüttert mich, weil ich mich frage, in was für einer Gesellschaft wir leben, in der Menschen Angst davor haben alt zu werden?

Ich kann durchaus verstehen, dass jemand sterben will, weil er eine schwere Krankheit hat, oder weil er sich vor Schmerzen nicht mehr bewegen kann, aber die Angst davor, auf Kosten anderer zu leben, sehe ich nicht als Grund für aktive Sterbehilfe. Und doch wollte führte diese ältere Dame genau das an. Sie möchte nicht auf Kosten anderer leben! Das ist gute kapitalistische Erziehung! Wer nicht produktiv ist, der fällt, so die kapitalistische Lehre, dieser Gesellschaft nur zur Last. Viel besser wäre es doch, wenn es nach den Kapitalisten geht, wenn die Leute sofort sterben, wenn sie für die Produktion nicht mehr zu gebrauchen sind. Sie sollen, so wie Maschinen auch, sofort auf dem Schrottplatz landen, ohne weitere Kosten zu verursachen.

Es ist traurig, dass genau dieses Denken bei uns so weit verbreitet ist. Es ist traurig, wenn alte Menschen denken, dass sie auf Kosten anderer Menschen leben, und noch trauriger ist es, dass sie der Meinung sind, dass das Sterben dann ein besserer Weg ist. Aber es ging ja nicht nur um die Kosten, sondern auch um die Pflege. Denn sie möchte auch nicht zum Pflegefall werden. Warum? Weil die Pflege bei uns, wenn man auf die Bezahlung schaut, zu einem Bereich mit wenig Anerkennung gehört. Auch der Pflegebereich muss sich in das kapitalistische System einfügen und somit möglichst große Profite erwirtschaften. Das geht sogar soweit, dass die Pflegekräfte nur wenige Minuten Zeit haben, um einen Menschen zu versorgen. In dieser Zeit müssen sie aber auch noch den Schriftkram machen. Das müsste sich ändern! Es müssten sehr viel mehr Menschen im sozialen Bereich arbeiten, was aber nur möglich ist, wenn dieser Beruf auch finanziell endlich den Status erhält, den er in unserer Gesellschaft verdient. Der soziale Sektor, also auch die Pflege, gehört zu dem wichtigsten Dienstleistungsbereich in unserer Gesellschaft – nur leider gehört er auch zu dem Bereich, mit dem man nicht wirkliche große Profite machen kann. Und gerade der letzte Punkt ist auch ein Grund dafür, warum wir den Kapitalismus überwinden müssen, denn in den Mittelpunkt der Wirtschaft gehört der Mensch und nicht der Profit!

Wie oben schon erwähnt, bin ich sprachlos. Ich bin sprachlos über die Gesellschaft, in der wir leben. Ich bin sprachlos über die Denkweise, die sich in unserer Gesellschaft etabliert hat. Ich bin sprachlos darüber, dass alte Menschen Angst davor haben noch älter zu werden und das sie aus dieser Angst heraus ihr Leben nicht genießen können, obwohl sie sich das verdient haben. Sie haben Jahrzehnte lang dafür gesorgt, dass dieses System funktioniert, dass es Profite abwirft, dass der Nachwuchs gegeben ist und vieles mehr. Sie haben soviel für diese Gesellschaft getan und dann haben sie am Ende ihres Lebens auch recht auf Würde, auf Spaß, auf Luxus, um es mal deutlich auszusprechen. Und ja, auch wenn sie 100 werden, sind sie immer noch Menschen, die, zumindest in der Gesellschaft, in der ich leben möchte, einen Platz verdient haben. Menschen, die sich keine Gedanken darüber machen müssen, wer für die Kosten aufkommt, die sie verursachen und die auch wissen, dass sie, wenn sie Pflege brauchen, liebevolle Menschen haben, die sich um sie kümmern, und zwar nicht deswegen, weil sie Profite machen wollen, sondern weil sie dem Menschen helfen wollen.

Und wenn man am Ende dann wirklich nur noch Schmerzen hat und sich nicht mehr bewegen kann, dann sollte es auch die Möglichkeit geben, dass dieser Mensch in Würde die Erde verlässt, indem er sich bewusst für den Tod entscheidet.

4 Gedanken zu „„Ich möchte mich einschläfern lassen, um nicht auf Kosten anderer zu leben…“

  1. Du hast ein gutes Herz. Leider werden aber hilflose Menschen in Pflege oft erbärmlich schlecht behandelt und somit kann ich traurigerweise leider die alte Dame gut verstehen, dass sie Angst hat, Kosten zu verursachen, ein Pflegefall zu werden, somit „lästig“…
    Das möchte sie sich ersparen. Das ist sowas von traurig.
    Wie viele alte Menschen haben ihr Leben lang schwer gearbeitet, für die Kinder gebuckelt, waren immer ehrliche und gute Menschen und müssen sich im Alter dann die eigene Vernichtung wünschen, weil sie es wohl nicht ertragen könnten, lästig zu fallen oder wegen Krankheit ausgeliefert zu sein und schlecht versorgt. 🙁

  2. Sven, dein Artikel hat mich wirklich mitgenommen, mich berührt. Es ist einfach Traurig.
    Meine Eltern haben mir viel Liebe gegeben und gezeigt, meine Mutter ist ein Pflegefall komme nie im Leben auf die gedanken die irgentwo abzugeben (sorge selbst für Pflege) somit hat die auch keinen Grund auf solche Gedanken zu kommen.

    Angst davor, auf Kosten anderer zu leben, sehe ich auch nicht als Grund für aktive Sterbehilfe. Übrigens die Pflegeversicherung wird auch von die Rente abgezogen.

    Lg

  3. Ganz genau erkannt. Profit ist in unserer Gesellschaft das was die Wirtschaft bezweckt. Fertigprodukte ausm Discounter, schlecht bezahlte Arbeit, all das gehört zum Kapitalismus des Profits, zum Raubtierkapitalismus. Wirtschaft ist nicht für die Gesellschaft gedacht, sondern für deren Profiteure. Aber eins ist klar, auch diese Oligarchie wird eines Tages nur noch in den Geschichtsbüchern stehen. Die Frage ist nur ob wir das noch erleben dürfen.

  4. Ihr habt ja alle recht ! Trotzdem seit ihr die Minderheit und träger unseres Systems. Ihr seid Wähler, ihr seid käufer und Konsomierer in jeglicher Hinsicht. Meine Analyse ist, nehmt das Leben nicht so wichtig. Es gibt andere Dinge die wichtiger sind und mehr Sinn haben. man muß sich nur damit Beschäftigen. Der Höhepunkt des Lebens ist der Tod und darauf kommt es an. Was hier passiert, laß es, du ziehst nur den kürzerin und wirst unglücklich. konzentriere dich darauf was kommen wird.

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