Wer mich kennt, der weiß, dass ich gegen Kriegseinsätze bin. Ich glaube nicht daran, dass Bomben dazu geeignet sind, Frieden und Demokratie in irgendein Land zu bringen. Und die Kriegseinsätze der letzten Jahrzehnte zeigt auch genau das. Weder in Afghanistan noch im Irak gibt es Frieden, und ob die Demokratie in diesen Ländern funktioniert, ist die zweite Frage. Ganz im Gegenteil, das Leid in beiden Ländern hat sich nicht vermindert, im Irak ist es, meiner Meinung nach, sogar noch größer geworden. Und doch befinde ich mich derzeit an einem Punkt, an dem ich nicht weiter weiß.
Nein, es geht nicht um die Ukraine, es geht um den IS. Sollten wir wirklich dabei zusehen, wie Hunderttausende von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden? Sollten wir wirklich ruhig bleiben, während durch Menschen enthauptet werden? Wäre ein Eingreifen hier nicht besser, könnte es Leid verhindern? Ich habe keine Antwort darauf und wahrscheinlich wäre es auch besser, wenn ich einfach den Mund halten würde, aber wäre das nicht auch feige? Würde ich damit nicht meine Position verraten, würde ich damit nicht allen Recht geben, die Kriegseinsätze für richtig halten?
IS durch die USA und Türkei stark gemacht
Meine Ablehnung von Kriegseinsätzen und Waffenlieferungen in Kriegsgebiete – wobei ich Waffenlieferungen generell ablehne – sehe ich dadurch gestärkt, dass der IS erst durch diese Waffenlieferungen starkgemacht wurde. Sowohl die USA wie auch die Türkei sind schuld daran, dass der IS derzeit soviel Leid verbreiten kann. Hätte es die Waffenlieferungen nicht gegeben, würde es die Gruppe wahrscheinlich geben, aber sie hätte nicht die Schlagkraft, die sie heute hat, sie wäre nicht eine solche Bedrohung, wie sie es heute sind. Aber was bringt mir diese Erkenntnis?
Sie bringt mir eigentlich nichts, denn der IS hat diese Waffen nun. Was würde es mir jetzt bringen, wenn ich jetzt mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Welt gehe und sage, die USA sind schuld, oder die Nato, oder all die, die meinen, dass wir mit Waffen die Demokratie exportieren können? Es bringt mir nichts, denn die Menschen im Irak und in Syrien werden dennoch getötet, es werden dennoch Menschen hingerichtet und der IS wird weiterhin angst und Schrecken in die Region bringen.
Aber können wir die Fehler, die gemacht wurden, mit Waffengewalt wieder gut machen? Kann Gewalt die Lösung sein?
Ich kann hier nicht mit Ja antworten, denn Kriegseinsätze haben bisher noch nie was Gutes gebracht. Sie bringen immer Leid über die Menschen und sie treffen immer die Zivilbevölkerung. Was sie bisher aber nicht geschafft haben, ist, stabile und friedliche Verhältnisse zu schaffen. Sie haben auch keine Demokratie gebracht, jedenfalls nicht die Angriffskriege der letzten Jahrzehnte.
Wer hier jetzt Deutschland und den 2.Weltkrieg ins Spiel bringen möchte, den muss ich enttäuschen, denn der Krieg ging von Deutschland aus und die anderen Nationen haben sich in diesem Fall nur verteidigt. Dieser Krieg ist also kein gutes Beispiel dafür, dass Waffen, Bomben und Gewalt irgendetwas verbessern könnten.
Ich kann aber auch nicht mit Nein antworten. Wer bin ich denn, dass ich sagen kann, dass wir die Menschen dort jetzt allein lassen sollten? Solidarität mit Plakaten bringt überhaupt nichts, denn das lindert nicht das Leid in den betroffenen Gebieten. Plakate werden nicht die Angst und die Gewalt aufhalten können, sie können eigentlich gar nichts, sie sind Ausdruck unserer Hilfslosigkeit.
Ich drehe mich im Kreis, ich weiß, dass das Leid, welches die Menschen dort ertragen müssen, durch die USA, die Nato, durch Uns dort importiert wurde, aber ich weiß nicht, wie wir es beenden können. Ich weiß nicht, wie wir die Spirale der Gewalt durchbrechen können, wie wir verhindern können, dass sich noch mehr Menschen einem solchen Fanatismus anschließen.
Gewalt wird das nicht verhindern können! Gewalt wird nur dazu führen, dass sich noch mehr Menschen diesem Fanatismus anschließen, Gewalt wird nur noch mehr Menschen in die Reihe des IS treiben, oder in die Reihen der Taliban – wir sollten ja nicht verschweigen, dass es mehrere Gruppen gibt, die ihrem religiösen Fanatismus freien Lauf lassen. Die Lösung kann nur sein, diesen Menschen Alternativen zu bieten. Sie müssen Perspektiven bekommen und diese Perspektiven müssen wir ihnen bieten.
Nur wie? Wie wollen wir diesen Menschen Perspektiven bieten, wenn wir das nicht einmal im eigenen Land hin bekommen? Wenn wir im eigenem Land Menschen haben, die keine Perspektive sehen und sich deswegen radikalisieren? Wenn wir in Europa eine Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent haben? Wir haben doch selbst keine Antworten, wir haben selbst doch nur Fragen.
Ein neues Gesellschaftssystem könnte Lösungen bringen, aber das hilft den Menschen, die jetzt durch den IS bedroht werden, nicht weiter. Die Gefahr für ihr Leben besteht jetzt, ein neues Gesellschaftssystem hingegen ist noch nicht einmal am Horizont zu erkennen, es würde für die Menschen also viel zu spät kommen.
Und doch kann ein Kriegseinsatz nicht das richtige Mittel sein. Was bleibt, ist die Ratlosigkeit.
Der IS ist ein mit der Hitlerdiktatur vergleichbares faschistisches verbrecherisches System. Er ist das Produkt der Weltpolitik der letzten Jahrzehnte, bei denen wir als Vertreter der sogenannten ersten Welt uns oft nach Gutdünken anderswo in der Welt bedient haben, die Armut schamlos ausgenutzt haben und sogar ausgeweitet haben. Und er ist das Produkt einer verfehlten Antiterror-Politik. Barak Obama glaubte mit der Tötung von Osama Bin Laden das Problem aus der Welt geschafft zu haben, wie naiv. Der islamische fundamentalistische Terror ist wie ein vielköpfiger Drachen: schlägt man einen ab, wachsen fünf weitere nach.
Die Hitlerdiktatur konnte nur durch eine Koalition mehrerer Großmächte bezwungen werden. Ich fürchte, mit dem IS ist das nicht anders.