Gestern stöberte ich ein wenig durch meine alten Blogartikel und musste mit erschrecken feststellen, dass ich radikaler geworden bin in meinen Ansichten. Zum Beispiel: 2011 war ich noch generell gegen Gewalt an Gegenständen. Damals wurde hier am Ostkreuz ein Kabelstrang der S-Bahn in Brand gesteckt, was natürlich zu Zugausfällen und anderen Störungen geführt hatte. Jetzt schreiben wir das Jahr 2015, und diese generelle Ablehnung ist gewichen. Ich lehne Gewalt gegen Gegenstände nicht mehr ab, im Gegenteil, ich sehe sie inzwischen als legitime Aktionsform, um politische Forderungen zu untermauern. Sicher ändern sich Ansichten über die Jahre, aber ich war gestern schon ein wenig geschockt, als mir das aufgefallen ist.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch das Bloggen dafür mitverantwortlich ist. Nein, das Bloggen hat mich nicht direkt radikaler gemacht, aber indirekt schon. Durch das Bloggen habe ich in den letzten Jahren meine Gedanken ausformuliert, habe sie aufgeschrieben, habe mir weitere Gedanken darüber gemacht, habe sie reflektiert und verworfen. Dadurch hat sich meine Art zu Denken weiterentwickelt, habe ich neue Argumente gefunden, bin zu neuen Einsichten gekommen, die ich ohne das Bloggen wahrscheinlich nicht erlangt hätte. Und ja, Bloggen ist auch eine Abbildung der Gesellschaft, worauf ich gestern auf Twitter hingewiesen wurde.
Aber es ist nicht nur das Bloggen, sondern auch das Kommentieren, das mich in den letzten Jahren viele Nerven gekostet hat. Es hat aber nicht nur Nerven gekostet, es hat auch neue Erkenntnisse gebracht, hat mich dazu gebracht, meine Standpunkte und Meinungen zu verteidigen, sie zu verwerfen, wenn sie falsch waren oder die Argumente zu verbessern, wenn ich der Überzeugung war, dass sie richtig sind. Ich habe dabei wohl auch verlernt Kompromisse einzugehen, zumindest dann, wenn diese Kompromisse an meinen Grundwerten rütteln würden. Dadurch habe ich viele Blogger und auch Twitterer verjagt, aber am Ende ist das wohl der einzige Weg, der sich richtig anfühlt.
Ich bin radikaler geworden in den letzten Jahren, aber ich bin auch sicherer geworden. Meine Meinung ist sicherer geworden, meine Argumentation auch. Ich lasse mich nicht mehr so leicht aus dem Konzept bringen, eben weil ich meine Gedanken meist schon ausformuliert habe. Ich weiß, wo ich stehe, ich weiß, wo ich die Gesellschaft sehe und ich weiß, was mir an dieser Gesellschaft überhaupt nicht gefällt. Und genau das ist auch der Grund, warum ich Sabotage – so hieß übrigens auch ein Buch, welches ich gelesen habe – inzwischen durchaus als legitimes Mittel ansehe, um politische Meinungen zu untermauern.
Das Problem daran ist nur, dass ich dadurch auch die Gewalt an Gegenstände legitimiere, die mir überhaupt nicht gefällt. Eben weil diese Gewalt auch eine politische Meinung untermauern soll. Sie soll aber gleichzeitig auch geflüchtete Menschen davon abhalten, an einem friedlichen und geschützten Ort eine Unterkunft zu bekommen. Sie soll eine politische Forderung untermauern und gleichzeitig soll sie Menschen abschrecken. Und nein, diese Art von Gewalt an Gegenständen will ich nicht legitimieren.
Vor ein paar Jahren argumentierte ich noch genau mit diesem Argument gegen diese Art von Gewalt. Denn die Mittel, die ich als legitim für meine Ziele ansehe, muss ich gleichzeitig auch als legitime Mittel für die Ziele der anderen, der politischen Gegner, ansehen. Aber genau das will ich nicht und genau deswegen bin ich über mich selbst derzeit ein wenig schockiert.