Ich habe vorhin irgendwo das Kinderlied mit den Elefanten und den Bäumen gehört. Also konkret geht es um die Größe, die Bäume haben müssen, damit Elefanten darunter spazieren gehen können, ohne sich zu stoßen. Ich würde fast behaupten, dass das inzwischen sicher auch als Ballermann-Hit gespielt wird. Aber egal, darum geht es nicht. Es geht um einen anderen Gedankengang, den ich durch dieses Lied bekommen habe.
Es geht um Meinungen und darum, was das für Meinungen sein müssen, an die sich keiner stößt, durch die keine Reibungen entstehen, durch die keinem wehgetan wird. Kann es solche Meinungen überhaupt geben? Ich glaube nicht! Wäre es nicht auch traurig, wenn jeder die gleiche Meinung hätte? Von der Langeweile einmal abgesehen, die dadurch aufkommen würde. Es wäre auch ein Verlust für unsere Gesellschaft, denn unterschiedliche Meinungen beleuchten Sachverhalte aus unterschiedlichen Blickwinkeln, wodurch dann auch Schwachstellen anderer Meinungen aufgedeckt werden können – natürlich auch Schwachstellen in der eigenen Meinung. Die gibt es auch, und natürlich tut es weh, diese selbst zu erkennen.
In letzter Zeit kommt es mir aber so vor, dass dies nicht erwünscht ist. Niemand möchte auf die Schwachstellen der eigenen Meinung hingewiesen werden. Zum Teil wird die mediale Macht, die einige Menschen ja durchaus besitzen, dazu gebraucht, um Menschen mundtot zu machen. Sie werden dann schnell in eine Schublade gesteckt, die möglichst negativ ist, damit die Meinung auch möglichst im negativen Kontext aufgenommen wird. Es kommt mir so vor, als ob Meinungsvielfalt inzwischen unerwünscht ist. Es gibt nur die gute Meinung, das ist die, die von den Menschen verbreitet wird, die eine große Reichweite haben, und dann gibt es die schlechten Meinungen, die ganz schnell durch irgendwelche Kampagnen auch genau dazu gemacht werden. Und viele lassen sich dann vor den Karren spannen, ohne überhaupt die Meinungen einmal genauer betrachtet zu haben. Es gewinnt also nicht immer die bessere Meinung, sondern eher die Meinung, die die besseren Multiplikatoren hatte, die bessere Reichweite, den besseren Bezug zur vordefinierten Meinung.
Oben schrieb ich, dass Meinungen immer jemanden wehtun, dass sie Reibung erzeugen, dass sich daran gestoßen werden muss. Das ist richtig, denn nur so kann man seine eigene Meinung prüfen, seine eigene Meinung auf Schwachstellen überprüfen. Jeder sollte offen für andere Meinungen sein, auch wenn sie einem erst einmal nicht gefallen. Natürlich bedeutet offen nicht, dass nicht diskutiert werden darf. Im Gegenteil, Offenheit verlangt gerade eine Diskussion zum Thema, aber eben zum Thema, nicht zur Person, die dahinter steht. Der Austausch von Argumenten zeigt auf, wo Schwachstellen sind – eigene und die der anderen Meinung.
Was mir auch oft auffällt, ist die Frage, warum der Gegenüber den eigenen Standpunkt nicht versteht. Oder die Frage, ob der Gegenüber nicht lesen oder zuhören kann. Da muss ich dann immer mit dem Kopf schütteln, denn das zeigt, dass wir viel zu oft davon ausgehen, dass jeder dasselbe Wissen hat, jeder dieselben Erfahrungen gemacht hat und jeder genau weiß, aus welchen Erfahrungen die Meinung des anderen entstanden ist. Aber das ist Schwachsinn! Jeder macht andere Erfahrungen, hat andere Verknüpfungen im Wissensnetz und deswegen andere Assoziationen zum Thema. Deswegen sollte man Fragen, auch wenn sie sich naiv anhören, immer ernst nehmen. Ich habe schon ein paar Mal nachfragen müssen, wie bestimmte Dinge in einem Blogartikel gemeint sind, weil mir einfach die Verknüpfungen, bzw. die Erfahrungen fehlten. Oft genug wurde ich deswegen angemacht – was übrigens sehr produktiv in der Meinungsbildung ist. Bei vielen Artikeln konnte ich mir bis heute noch keine Meinung bilden, was ich ziemlich schade finde.
Da machen sich Autorinnen und Autoren die mühe, einen Artikel zu verfassen, der meist auch noch mehrere A4-Seiten lang ist, aber wenn dann jemand nachfragt, um auch wirklich alles zu verstehen, wird dieser von der Seite angemacht. Schließlich muss man die vordefinierten Meinungen, die dem Mainstream entsprechen, doch kennen.
Ich bin ziemlich froh, dass dies hier nur ein kleiner Blog ist, dass ich für die vielen Elite-Blogger unbedeutend bin, weil ich deswegen nicht Gefahr laufe, irgendwann einmal die falsche Meinung zu haben, die dann durch andere weggemoppt wird. Ich kann hier schreiben, ohne mich verbiegen zu müssen. Und da sind wir wieder beim Kinderlied, denn die ganzen Elite-Blogger können einem schon leidtun. Sie müssen Meinungen haben, die keinem wehtun, oder zumindest nicht den Menschen, für die sie Elite-Blogger sind. Ich stelle mir das so ziemlich schwer vor! Ich persönlich möchte nämlich anstoßen, ich möchte Reaktionen provozieren, die dann eventuell in einer sachlichen Diskussion enden, durch die am Ende für beide Seiten ein Erkenntnisgewinn steht.
Hi Sven,
Ich teile nicht andere Meinungen mit, ich habe meine eigene.
Iwan Turgenjew „Väter und Söhne“
LG